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Mit Kindern an die Demo?
Ich habe es nicht einmal hinterfragt, als meine Freundin sagte, sie gehe mit den Kindern an die Kundgebung «Let them in – Refugees Welcome» beim Helvetiaplatz, die Solidarität mit den Flüchtlingen demonstrieren sollte. «Das geht doch, oder?» wollte sie sich rückversichern. «Klar», sagte ich. Was sollte schon passieren? Der Schwarze Block würde ja wohl nicht auftauchen. Rechtsradikale hoffentlich auch nicht. Und sowieso, an einer bewilligten Veranstaltung, welche Friede und Freiheit propagiert, gewalttätig zu werden – so widersinnig kann doch keiner sein. So standen die drei dann auf dem Platz und setzten sich im stillen Protest für eine gute Sache ein. Als sich die Masse rundherum bewegte und sie sowieso auf den Bus wollten, gingen sie ein paar Meter mit, standen so aber auch mittendrin, als die Gummigeschosse vorbeizischten. Dass die Demo bewilligt war, ein Protestzug aber nicht, wusste bestimmt nicht jeder. Mit Baby und präpubertierendem Bub im Gummi-Kreuzfeuer – war das verantwortungslos? War das naiv? Oder einfach nur dumm gelaufen?
Gerade kürzlich hatten wir darüber diskutiert, ob es Sinn macht, Kinder an die Streetparade mitzunehmen. Mein Fazit war: Solange man sie nicht zum Selbstzweck dahin schleppt und stundenlang dazu verdonnert, zu beobachten wie man selbst Spass hat, geht das in Ordnung. Geht man für eine halbe Stunde hin, um dem Kind einen Eindruck zu geben, wie so eine Massenveranstaltung aussieht und was da so für Leute kursieren, kann das ja lehrreich sein. Genauso wenn wir unseren Kindern zeigen, dass wir uns für andere einsetzen. Im besten Fall entsteht beim Kind ein Bewusstsein dafür, dass man für sein Recht und seine Überzeugung einstehen muss.
Trotzdem, im Nachhinein finde ich es fahrlässig, mir so wenig Gedanken darüber gemacht zu haben. Was, wenn ein Gummigeschoss meine Tochter ins Gesicht getroffen hätte? Die Polizei schoss scheinbar aus ziemlich kurzer Distanz. Das hätten wir Eltern uns wohl nie verziehen. Was meint ihr, sind Demos per se kein Ort für Kinder?
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Reto Hunziker ist 1981 im Aargau geboren, aber das muss noch nichts heissen. Er hat Publizistik, Filmwissenschaft und Philosophie studiert und auch das muss noch nichts heissen. Er arbeitet als freier Journalist und als Erwachsenenbildner und versucht daneben, dem ganz normalen Wahnsinn in einer Patchwork-Familie (Frau, Tochter und Stiefsohn) mit Leichtigkeit und gesundem Menschenverstand zu begegnen – das will was heissen. Alle Blog-Beiträge von Reto Hunziker finden Sie hier.