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Meine Eltern, meine Feinde!
Gestern hat der Kolumnist Hans Zippert in der Welt einen satirischen Text darüber veröffentlicht, dass Kinder klare Feindbilder in der Familie bräuchten und diese von Mutter und Vater verkörpert werden sollten. Ansonsten drohten den Kleinen psychische Schäden. Konkret behauptet er, dass ein wünschenswertes Konzept wie Selbstständigkeit nicht erzogen werden kann sondern erstritten, ja erkämpft werden muss. Nichts ist mit friedlichem Miteinander dank Familienkonferenz, gewaltfreier Kommunikation und Achtsamkeit. Zippert verordnet zur Formung junger Menschen einen gepflegten Konfrontationskurs. Krawall statt Kuscheln. «Fuck You!» statt Frieden. Natürlich alles rein satirisch. Oder doch nicht? Hmmm …
Selbstverständlich sollten es Eltern nicht darauf anlegen, ihren Kindern spinnefeind zu sein. Wer sich absichtlich fies und unkooperativ seinem Nachwuchs gegenüber verhalten will, der sollte vielleicht besser keine haben. Aber mit einer Tochter an der Schwelle zur Pubertät und einem Sohn, der knapp dahinter auf seinen Einsatz lauert muss ich mich als Vater fragen, ob der Gedanke, absichtlich als Projektionsfläche der Wutausbrüche und Abgrenzungsversuche herzuhalten, wirklich so abwegig ist.
Vielleicht kennt ihr das: Die Eltern eines befreundeten Kindes sind mal wieder ganz hin und weg von eurem Sprössling, der sich gerade bei ihnen zu Besuch 4 Stunden lang von seiner besten Seite gezeigt hat, und hätten gerne auch so einen. Aber schon im Auto ist es vorbei mit «wohlerzogen» und «Feuer spucken» ist dran. Zuhause geht es lustig weiter. Alles scheisse. Ihr seid schuld. Das Wochenende ist gelaufen. Doch so sehr man versucht ist
Schmeiss dein Kind nicht an die Wand
Schick es lieber in den Wald
Denn in uns’rem deutschen Land
Ist es meistens furchtbar kalt
zu singen und anschliessend in die Tat umzusetzen, so sehr müsste man eigentlich wissen, dass die Kinder Zuhause so durchdrehen und Dampf ablassen, weil sie sich sicher fühlen. Weil sie wissen, dass wir ihnen wegen mieser Laune nicht die Elternschaft kündigen. Weil sie sich auf uns verlassen können und wir bestenfalls in unseren wütendsten Versionen unserer selbst erträglich und berechenbar sind.
Klar wäre es schön gewesen, wenn das Familienwochenende mal nicht in Schutt und Asche gelegt wird. Aber die Alternative wären Kinder, die auf Zehenspitzen um uns herumschleichen, weil sie nie wissen, was als nächstes passiert.
Dann doch lieber für seine Kinder bei Bedarf der Arsch sein können.
Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.