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Ich hasse, hasse meinen Bruder!
Genau dieser Satz gellte durch das Wohnzimmer unserer Freunde, bei denen wir neulich zu Besuch waren. Ich war erschrocken und froh zugleich. Erschrocken, weil das ein unheimlich harter Satz aus dem Mund eines Kindes ist. Genau genommen wäre es auch ein harscher Satz aus dem Mund eines Erwachsenen, aber denen gesteht man zu, für eine solche Gefühlsregung triftige Gründe zu haben, während man bei Kindern schnell dabei ist, solche Aussagen als haltlos und unangemessen abzutun Adultismus, ick hör dir trapsen! Froh, weil es keines meiner Kinder war, das da gesprochen hatte. Im Gegenteil: Ein kurzer Blick von mir in die Runde zeigte klar, dass meine beiden Grossen mindestens so bestürzt dreinschauten wie ich. So etwas würden sie tatsächlich nicht sagen – schon gar nicht in Gegenwart von Nichtfamilienangehörigen. Manchmal streiten sie sich wie die Kesselflicker, fluchen, schimpfen, stellen sich nach und treiben sich zur Verzweiflung. Aber im Grunde sind sie sehr gut miteinander. Fahren gemeinsam miteinander ins Feriencamp, weil es zu zweit lustiger und nicht mit so viel Heimweh verbunden ist. Besuchen sich ständig gegenseitig zum Übernachten, versuchen länger aufzubleiben, erzählen sich dämliche Witze und lachen sich dabei so leise wie möglich schrott (Schrottlachen ist gerade DAS Ding!).
Der siebenjährige Sohn unserer Freunde würde das hingegen nicht nur sagen, er tut es auch. Und zwar nicht zum ersten Mal. Später, als die Kinder alle in den Betten liegen, klagen sie der Chefin von dem Ganzen und mir ihr Leid. Ständig würden sich ihre beiden streiten. Mit Prügeln, Beissen und allem Drum und Dran. Man müsse sie unter der Woche schon zu verschiedenen Aktivitäten schicken, damit sie sich nicht an die Gurgel springen. Ob wir nicht einen Tipp für sie hätten. Unsere seien ja immer so lieb zueinander.
Zunächst einmal bin ich ziemlich beeindruckt davon, wie offen unsere Freunde das Thema ansprechen. Ich erlebe es sehr selten, dass Eltern sich über ihren Erziehungsstil oder ihre Kinder defizitär äussern (Das schliesst mich mit ein.), weil man sich in solchen Fällen zumeist komplett als Mensch in Frage gestellt sieht. Irgendetwas nicht auf die Reihe kriegen – kein Problem. Aber in der Erziehung der eigenen Kinder Dinge falsch machen – auf gar keinen Fall!
Und in dem anschliessenden Gespräch merke ich in diesem Zusammenhang, wie sehr man versucht ist, die positiven Eigenschaften seiner Kinder sich selbst und der Erziehung zuzuschreiben, während negative Sachen immer den Umständen geschuldet sind. Schlechte Lehrer. Ungute Gesamtsituation. Ihr wisst, was ich meine.
Tatsächlich weiss ich gar nicht genau, warum meine Grossen sich so mögen. Wir bemühen uns innerhalb der Familie um einen respektvollen Umgang miteinander (Wer nicht?) und haben ihnen von Anfang an die Möglichkeit eingeräumt, sich erfolgreich gegen uns zu verbünden (Geheimtipp!) – auch wenn wir genau wussten, was für Schandtaten sie aushecken. Einfach weil wir dachten, dass das ihr Gemeinschaftsgefühl stärkt. War ja dann auch so. Aber darüber hinaus? Regeln und Pläne für aktives Geschwister-Bonding? Nicht wirklich!
Vielleicht ist grundsätzlich mehr Dankbarkeit angebracht. Für all die Dinge, die man bei genauerem Hinsehen nicht wirklich ganz toll hinbekommen hat, sondern die sich einfach so entwickelt haben. Es könnte nämlich auch ganz anders sein. Und was nicht ist, kann ja noch werden.
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.