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Drei Kinder sind jetzt der neue heisse Scheiss
zvg
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Was lesen meine müden Augen? Nachdem für die bürgerliche Durchschnittsfamilie jahrzehntelang nachwuchsmässig bei zweien Schluss war, geht der Trend jetzt zum Drittkind. Und schon wird gemutmasst, woran das liegen könnte. Warum machen DIE das? Wollen sich Paare etwa die eigene Leistungsfähigkeit beweisen oder gar eine Dynastie gründen? Geht es da vielleicht um Status und Prestige? Schon möglich. Ich hätte da aber mal eine Gegenfrage: Können wir bitte darauf verzichten, das Thema in diesem leicht süffisant-angeekelten Tonfall so hochzuhängen? Tatsächlich sind die Gründe, noch ein drittes Kind zu bekommen genauso vielfältig, wie sich bewusst dagegen zu entscheiden. Behaupte ich jetzt mal so. Als Vater von vier Kindern, Onkel der Dreierbande meines Bruders und als drittes Kind.
In einem Patchworkverbund zum Beispiel sind Dritte keine Seltenheit. Menschen, die schon Kinder haben, finden sich und wollen ein gemeinsames Kind. Das ist keine Neuigkeit.
Ein drittes Kind kann auch einfach so nachgerutscht sein. Weil man nach den ersten zweien glücklicherweise davon ausgehen kann, dass man das hier schon schaukeln wird. Vielleicht machen sich die beiden Grossen für ein Geschwisterchen stark. Vielleicht ist man auch schon länger dieser Grossfamilientyp, der das Beste aus all dem pulsierenden, matschigen Chaos zieht und sowieso grundentspannt ist. Oder man ist gerade zurück in die Heimatstadt gezogen, Oma und Opa werden verrentet, allmählich scheinen die staatlichen Anreize zum Kinderkriegen zu funktionieren und man ist noch nicht bereit, sich aus dieser Kleinkind-Kita-Glücksköpfchen-Brabbel-Kuschel-Kackwindel Phase zu verabschieden. Oder die Pubertätsmonster kotzen einen furchtbar an und man will noch mal so ein kleines, weiches Babyglück – die Tatsache, dass ein paar Jahre später auch bei diesem Kind in der einen Hand ein Handy und an der anderen der Stinkefinger blitzt, lässt sich bestimmt übervögeln.
Oder man zieht die «Also entweder trennen wir uns oder wir bekommen jetzt ein Kind» Karte. Die hat ja auch beim ersten Mal so super gestochen.
Oder, oder, oder …
Darüber würde ich persönlich gerne Artikel lesen. Die üblichen Texte, in denen Grossfamilien als spinnertes Luxusprojekt oder bildungsfernes Endergebnis mangelnder Unterhaltungs- und Verhütungsmöglichkeiten dargestellt werden, brauche ich hingegen nicht. Und die, bei denen sich offensichtlich insbesondere Mütter gefälligst fragen sollen, ob Frauen mit drei + x Kindern nicht viel mehr Mutter sind als sie, auch nicht.
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.