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Die seltsamen Kinder anderer Leute
Ich bin grosser Fan davon, mit anderen Familien zusammenzukommen und sich darüber auszutauschen, wie man in seiner jeweiligen Konstellation zusammenlebt. Was machen die so, was haben die für Regeln, wie setzen sie die durch. Was entspannt Familien und was regt sie auf? Dabei habe ich eine Entdeckung gemacht:
Kann es sein, dass unsere Kinder immer genau die Macken haben, die wir an uns selbst pflegen beziehungsweise tolerieren können, während wir andere ausmerzen, weil wir sie einfach nicht ertragen könnten? Die Chefin von dem Ganzen und ich werden zum Beispiel von anderen häufiger dafür ungläubig bestaunt und gelobt, dass unsere Kinder zur festgesetzten Zeit einfach ins Bett gehen und schlafen. Andererseits finden einige, dass wir in puncto Tischmanieren grundsätzlich etwas nachlässig sind. Das liegt daran, dass sich bei uns niemand daran stört, wenn jemand die Ellbogen auf dem Tisch hat oder kurz aufsteht und sich entfernt. Wir vermeiden Essensschlachten, unappetitliche Gesprächsthemen (Schorf, Fäkalienweitwurf, Operationsdetails etc.) und halten eisern an unserer erprobten «Nicht singen!» Regel fest. Aber das war es dann auch schon. Alles andere läuft irgendwie.
Beim Schlafengehen hingegen gibt es für uns keine Extras und keine Kompromisse. Abendroutine, Bett, fertig. «Noch ein Lied, mein Bein fühlt sich komisch an, ich muss euch noch was erzählen» fällt alles aus. Bei Versuchen in diese Richtung lautet die Standardantwort «Kein Interesse!». Auch bei «Aber ich kann nicht einschlafen!» sind wir komplett kaltherzig und desinteressiert. Weil irgendwann einfach mal Schluss sein muss. Weil nach Acht wir dran sind.
Manchmal frag ich mich, was wohl passieren würde, wenn sich alle Kinder absprechen würden, um die elterlichen Tricks zu entlarven. Was geschieht, wenn sich «Meine sind voll streng mit Hausaufgaben, aber geben ordentlich Taschengeld.» mit «Meine finden, ich bin zu jung für selber Geldausgeben, aber die Hausaufgaben sind ihnen ziemlich egal.» verständigt? Und könnten Eltern dem etwas entgegensetzen, wenn sie sich über die Anwendungsmöglichkeiten der diversen Erziehungsmassnahmen austauschen?
Ich glaube ja, dass sich nichts ändern würde. Dass die Summe aller Probleme immer mehr oder weniger konstant bleibt und alle es sich zwischen Positivem wie Negativem gemütlich machen und das dann Familie nennen. Ist das jetzt furchtbar oder grossartig?
Oder beides?
Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.