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Der Anfang ist ein Lumpenhund
Ich stehe vor dem Regal und studiere Eisteepackungen. Gerne hätte ich einen mit Pfirsichgeschmack, aber der scheint ausgegangen zu sein. «Probieren Sie doch den mit Mango», sagt die Verkäuferin. Ich weiss nicht recht. «Ist der nicht sehr süss?», frage ich. Mitnichten, versichert sie mir, ich kaufe zwei und bitte um einen Plastiksack. Meine Interaktion mit der Umwelt ähnelt Dialogen aus einem Portugiesischlehrbuch für Anfänger.
Genau das sind wir. Anfänger. Er hat uns nämlich reingelegt, der Anfang, dabei hatte ich mich so freundlich von ihm verabschiedet. Wir sind jetzt da, danke, auf Wiedersehen, aber nicht so bald, jetzt zieht erst einmal der Alltag ein, hab ich gesagt. Aber er hat nur blöd gegrinst. Und jetzt begleitet er mich zur Post und zum Einwohnermeldeamt, und kriegt sich kaum ein vor Lachen, weil mir nicht einfällt, was Aufenthaltsbewilligung auf Portugiesisch heisst.
Mein Mann schlägt sich derweil mit Beamten herum, die ihm das Leben schwer machen, weil er unser Auto aus der Schweiz in sein Heimatland gebracht hat. Er hat Portugal einst als Student verlassen, manche Abläufe scheinen ihm heute ebenso unverständlich zu sein wie mir. Jede erledigte Aufgabe gebärt drei neue, ich lade eine App auf mein Telefon, die unsere To-Do-Listen nach Farben ordnet: Tannengrün für Hugo, Fliederfarben für mich, Türkis für alles, was im Haus fehlt und Aprikose für alles, was nicht recht in die anderen Listen passt. Wir reisen von der Kapitale in die Kleinstadt und zurück, pendeln zwischen unserer Wohnung in Lissabon und dem Haus meiner Schwiegereltern im Norden des Landes, wir sehnen uns nach Routine, aber lechzen nach Unterstützung.
Unser Grosser hingegen hat Daheim längst zu einem Ort erklärt, der sich über mehrere Häuser und Städte hinweg erstreckt. Die Selbstverständlichkeit, mit der er sich in den Wohnzimmern, Küchen und Abstellkammern seiner Grosseltern und Grosstanten bewegt, die Selbstverständlichkeit, mit der er überall dort mit offenen Armen empfangen wird, rührt mich zu Tränen. Und der Kleine? Für den bleibt Zuhause vorerst der Busen seiner Mutter – auf welcher Couch auch immer diese gerade sitzt.
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Ümit Yoker (Jahrgang 77) hätte nie gedacht, dass sie je einen grösseren Umzug wagt als einst den vom zugerischen Baar nach Zürich. Doch die Tochter eines Türken und einer Schweizerin sollte die grosse Liebe in Form eines Portugiesen finden, und nach ein paar gemeinsamen Jahren in der Schweiz und der Geburt von zwei Söhnen zieht die Familie 2014 nach Lissabon. Hier hat sich die Journalistin bisher noch keinen Augenblick fremd gefühlt. In ihrem Blog erzählt sie von Neuanfang und Alltag in der Ferne.