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Blumen, Pistolen und Ceaușescu
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Screenshot Le petit journal
Dieses Video haben wahrscheinlich viele von euch gesehen, es ging nach den Anschlägen von Paris um die Welt. Darin versucht ein Vater, seinem Sohn zu erklären, warum die Menschen Blumen niederlegen. Der Sohn, sichtbar verunsichert, gibt auf herzerwärmende Weise Sätze von sich wie «sie sind nicht sehr nett, die Bösen» und «die Bösen haben Pistolen und können uns erschiessen, Papa». Der Vater entgegnet: «Aber wir haben Blumen.» Nach anfänglicher Skepsis resümiert der Bub: «Die Blumen und Kerzen sind da, um uns zu beschützen.» Ob er sich nun besser fühle, fragt der Reporter. «Ja», sagt der Kleine.
Es tut weh, sich dieses Video anzuschauen, es tut aber auch gut. Hier die totale Verunsicherung des Jungen, aber auch seine kindliche Naivität und da die Verzweiflung des Vaters, aber auch die Souveränität, in dieser Situation tröstende Worte für seinen Sohn zu finden. Das hat in mir unter anderem zwei Gedankengänge ausgelöst. Erstens: Ich hoffe, ich werde später meine Tochter ebenso gut trösten können, egal, was passiert (und wenn ich mir die Welt momentan anschaue, muss ich davon ausgehen, dass noch viel Schlimmes passieren wird). Ich hoffe, sie wird in mir einen ruhenden Pol, einen Fels in der Brandung sehen respektive finden und ich werde ihr zumindest mit meinen Worten Sicherheit geben können.
Zweitens hat mich die Szene an meine eigene Kindheit erinnert. Ende der Achtziger Jahre trieb Nicolae Ceaușescu in Rumänien sein Unwesen. Ich wusste damals nicht, was genau passierte und wenn ich ehrlich bin, weiss ich auch heute noch nicht viel mehr. Irgendwie war dieser Ceaușescu aber medial sehr präsent, man sprach über ihn und es war schnell klar, dass es sich um einen Bösen handelt, der unberechenbar ist. Keine Ahnung, wie ich auf die Idee kam – mag sein, dass ich den Gesprächen meiner Eltern lauschte und etwas falsch verstand oder dass gerade Jodtabletten verschickt wurden und ich fragte wozu -, jedenfalls hatte ich Angst davor, dass dieser Diktator einen Giftgasangriff auf die Schweiz verüben könnte. Ich malte mir aus, wie es plötzlich neblig würde und wir alle keuchend zusammensackten. Schon das war schwer zu ertragen. Wie schwer muss es da für die Kinder in Paris sein.
Leider erinnere ich mich auch nicht mehr daran, ob ich diese Angst je geäussert habe und falls ja, wie meine Eltern versuchten, sie mir zu nehmen. Ich weiss nur eines: Es wäre schön, wenn die Ängste unserer Kinder nicht so real wären.
Reto Hunziker ist 1981 im Aargau geboren, aber das muss noch nichts heissen. Er hat Publizistik, Filmwissenschaft und Philosophie studiert und auch das muss noch nichts heissen. Er arbeitet als freier Journalist und als Erwachsenenbildner und versucht daneben, dem ganz normalen Wahnsinn in einer Patchwork-Familie (Frau, Tochter und Stiefsohn) mit Leichtigkeit und gesundem Menschenverstand zu begegnen – das will was heissen. Alle Blog-Beiträge von Reto Hunziker finden Sie hier.