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Alles fliesst
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Ümit Yoker
Verlieben sich zwei Menschen unterschiedlicher Herkunft ineinander, so heisst es, eröffnen sich dem glücklichen Paar bald Gelegenheiten sonder Zahl, für kulturell bedingte Missverständnisse etwa. Als wir noch in der Schweiz lebten, kochte mein Mann zum Beispiel regelmässig Suppe. Fischsuppe mit Tomate, Paprika und Kartoffeln. Hühnersuppe mit Nudeleinlage, Karotten und Sellerie. Wunderbare Gerichte, nur war jedes Mal so viel davon übrig, dass man problemlos ganz Oerlikon und vermutlich auch noch ein paar Opfiker hätte damit versorgen können. Wir wussten beide, wie die Geschichte ausgehen würde: In ein paar Tagen würde einer von uns am Topfinhalt riechen, der in der Zwischenzeit nur marginal geschrumpft war, und ihn dann mit schlechtem Gewissen entsorgen. Mein Mann würde sich in der Folge darüber ärgern, dass wir einmal mehr Essen wegwerfen, und ich würde ihm entgegnen, dass er weniger hätte kochen sollen. Er würde sagen, dass er schon die ganze Woche nichts als Suppe esse und ich würde antworten, dass ich von Anfang gesagt hätte, dass ich ebendies nicht tun wolle. (Dass wir den Rest einfach hätten einfrieren und bei Bedarf wieder auftauen können, fiel uns leider nicht ein.)
Aber ich hatte ja keine Ahnung. Mein Mann kann gar nicht anders. Suppe, dachte ich immer, das ist das, was man so isst, bevor man isst, ein Häppchen flüssiger Art, und im Winter, mit einem Paar Wienerli dazu, wird daraus vielleicht mal eine Mahlzeit. Doch wo der Vater meiner Kinder herkommt, da gibt es keine Suppen für zwei Personen und wenn doch, sind sie als solche nicht zu erkennen. In grossen und noch grösseren Töpfen blubbert das Gericht in mannigfaltiger Variation in all den Küchen des Landes, schöpfbereit, jederzeit, als entscheide es über Gedeih und Verderb des portugiesischen Volkes. Gäbe es eine Rangliste der wichtigsten Flüssigkeiten im Land, da käme die Suppe zwar nach dem Atlantik, aber sie stünde weit vor Portwein und Superbock. Selbst bei McDonalds gehört sie zum Menu ganz selbstverständlich mit dazu; wo bestellen sich Jugendliche wohl sonst ein Süppchen zu den Fritten, ich weiss es wirklich nicht. Und schaltet sich dann meine portugiesische Schwiegermutter, Skype seis gedankt, wieder einmal live in unsere Lissabonner Küche zu und sieht vor meinen Söhnen beim Abendessen nur Teller mit Nudeln und Reibkäse liegen, entweicht da dem Smartphone nicht jedes Mal ein sorgenvolles Seufzen?
Aber: Natürlich habe auch ich inzwischen meistens mehrere Portionen Suppe griffbereit zu Hause. Es ist ausserordentlich praktisch, nach einem langen Tag am Strand oder einem Wochenende bei den Schwiegereltern zurück zu Hause einfach eine davon aufzuwärmen und den Kindern vorzusetzen, ich gebe es ja zu. Das nennt man vermutlich Integration.
Sopa de feijão verde:
3 grosse Kartoffeln,
1 Zucchetti,
300 Gramm Rüebli,
2 Zwiebeln,
1 Tomate,
grüne Stangenbohnen (eine Handvoll oder nach Wunsch),
Olivenöl, Salz, frischer Koriander
- Das Wasser aufkochen, Salz und etwas Olivenöl hinzufügen.
- Alles Gemüse ausser den Stangenbohnen schälen und in Würfel schneiden, im Salzwasser weichkochen und dann pürieren.
- Die Stangenbohnen quer in kleine Stücke schneiden und hinzufügen; so lange weiterkochen, bis die Bohnen gar sind. Mit Koriander servieren.
Und, ihr wisst ja – wenn was übrigbleibt, einfach portionenweise einfrieren...
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Ümit Yoker (Jahrgang 77) hätte nie gedacht, dass sie je einen grösseren Umzug wagt als einst den vom zugerischen Baar nach Zürich. Doch die Tochter eines Türken und einer Schweizerin sollte die grosse Liebe in Form eines Portugiesen finden, und nach ein paar gemeinsamen Jahren in der Schweiz und der Geburt von zwei Söhnen zieht die Familie 2014 nach Lissabon. Hier hat sich die Journalistin bisher noch keinen Augenblick fremd gefühlt. In ihrem Blog erzählt sie von Neuanfang und Alltag in der Ferne.