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Abschied in Raten
Soll sich doch jemand anders ihrer annehmen! Mein Bruder und ich stehen im Flur und betrachten die beiden. Er rückt die Originalverpackung ein wenig zur Mitte, ich fotografiere das Arrangement und stelle das Bild online: Zu verkaufen, Preis verhandelbar. Gleich zwei Staubsaugerroboter hatten wir damals gekauft, beim Einzug in unsere Wohnung in Oerlikon, grosszügiger Grundriss in gesichtslosem Neubau, keine Schwellen, offene Küche, Fensterfront, so gut isoliert, dass wir selbst im Winter kurze Hosen tragen konnten. Zu Beginn waren die beiden Dinger ständig im Einsatz, mein Mann hatte sie gar programmiert, immer dienstags wischten sie ab 14 Uhr durch die Wohnung, eine Lichtschranke grenzte den Bereich des einen vom andern ab. Aber jeder Mann ist ein Bub, auch meiner, und das Spiel verlor irgendwann seinen Reiz, den Staubbehälter nach jeder Reinigung leeren mochte dann bald auch niemand mehr.
Das Saxophon ist als nächstes dran. Fünfzehn Jahre lang hatte ich mir eingeredet, dass ich es bald wieder aus seinem Koffer befreien und alle möglichen Jazzklassiker damit neu interpretieren werde. Dass ich, mit einem Buben an der Hand und einem zweiten im Bauch, den rechten Zeitpunkt nun in den nächsten fünfzehn Jahren dafür ausersehe, das glaube nicht einmal mehr ich. Mein Bruder nimmt den alten Küchentisch meines Mannes mit in seine neue Wohngemeinschaft. Zwei Jahre, nein, länger hat mein Bruder mit uns gelebt, ein ruhiger Mann mit breiten Schultern und jungenhaftem Gesicht. Erst war es als Übergangslösung gedacht gewesen, als er, gerade von einer längeren Reise zurück, bei uns auf der Couch schlief, damals lebten wir noch in einer Zweinhalbzimmerwohnung. Wir kamen uns selbst auf wenig Raum nicht in die Quere. Wie schön, dass er hier ist, dachte ich oft, dass wir noch einmal unter demselben Dach leben nach all den Jahren seit unserer Kindheit.
Die Gemütlichkeit unseres Oerlikoner Daheims weicht derweil Türmen aus Kartonkisten und langen Reihen vollbepackter Migrossäcke. Unser Hausrat emigriert, bevor wir es tun. Ein Bekannter eines Bekannten wird auf seinem Weg zurück nach Portugal unser Hab und Gut in seinen Lieferwagen packen und nach Lissabon bringen. Mein Mann wickelt Geschirr in Zeitungspapier und zerlegt Möbel in transportierbare Teile, mit konzentrierter Miene liegt unser Sohn im leeren Bettrahmen neben ihm und macht Schraubbewegungen. Der Schlüssel zu seiner Glückseligkeit birgt der Werkzeugkasten, keine Frage, der allabendliche Abschied vom Schraubenzieher ist tränenreiches Ritual in diesen Tagen.
Irgendwann ist alles verpackt, alles zerlegt, alles auf den Weg geschickt. Erschöpft kommen wir in der kleinen Wohnung meines Vaters und seiner Frau an, sie liegt nur einen Katzensprung entfernt. Wir nehmen je eine Couch in Beschlag und klappen unsere Laptops auf. Bald mischt sich das Ermittlungsgemurmel von «Tatort»-Kommissaren mit den Ausführungen portugiesischer Fussballexperten über die verpassten Torchancen von Benfica. Das Wohnzimmer ist in warmes, gedämpftes Licht getaucht, unser Bub liegt im Schlafzimmer nebenan wie ein gestrandeter Seestern mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf dem Ehebett. Der nächste Abschied steht bereits bevor, aber für heute sind wir angekommen.
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Ümit Yoker (Jahrgang 77) hätte nie gedacht, dass sie je einen grösseren Umzug wagt als einst den vom zugerischen Baar nach Zürich. Doch die Tochter eines Türken und einer Schweizerin sollte die grosse Liebe in Form eines Portugiesen finden, und nach ein paar gemeinsamen Jahren in der Schweiz und der Geburt von zwei Söhnen zieht die Familie 2014 nach Lissabon. Hier hat sich die Journalistin bisher noch keinen Augenblick fremd gefühlt. In ihrem Blog erzählt sie von Neuanfang und Alltag in der Ferne.