Blog
Die Kita-Krankheit
Ich kann nicht behaupten, es hätte uns keiner gewarnt. Nur konnte ich nicht eruieren, ob es Unken- oder Kassandrarufe sind (nett, dass ich noch etwas Bildung einbaue, oder? Die Unkenrufe sind jene, die das, vor dem sie warnen, schlechter machen als es eigentlich ist. Kassandrarufe sind jene, die vor einer realen Gefahr warnen, was jedoch niemand hören will. Zugegeben, ich musste auch kurz nachschauen.) Jedenfalls hiess es, dass die ersten ein, zwei Jahre, in denen das Kind in der Kita ist, sehr hart werden. Die Zöglinge seien ständig krank und die Viren werden innerhalb der Familie weitergegeben in einer Art Siech-Spirale. Ich weiss nicht mehr, ob ich das nicht so recht glauben konnte (also eher Kassandrarufe) oder mich nicht weiter damit beschäftigen wollte, weil ich dachte «das kommt noch früh genug».
Klar ist nur: Es ist eingetroffen. Und wie. Mit knapp 13 Monaten kam unsere Kleine in die Kita, zwei Tage pro Woche, heute ist sie 21 Monate alt. In diesen acht Monaten war sie gefühlte drei Wochen total fit. Ansonsten löste der eine Infekt den anderen ab. Die ganze Familie lag vier- bis fünfmal mit
Magen-Darm-Grippe
flach. Wir haben dauergewaschen und dauergeputzt, dauergetröstet und dauergetragen. Fazit: Wir sind total auf den Felgen. Und nicht nur wir, wo man hinsieht und hinhört nur völlig entkräftete und verzweifelte Eltern, die mindestens ein Kind in der Kita haben, es aber gar nicht so oft hinschicken können, weil es ohnehin dauernd krank ist. Kein Wunder sind Alleinerziehende schon krankgeschrieben worden deswegen. Wir sind entkräftet durch eine vermeintliche Entlastung. Mal ehrlich, da stimmt doch was nicht.
Nichts gegen Kitas, wir sind mit unserer auch sehr zufrieden, aber dieses ganze System scheint nicht aufzugehen. Wir lassen unsere Kinder fremdbetreuen, damit wir mehr arbeiten können, völlig legitim. Aber die Quittung ist eben, dass nicht nur wir, sondern auch die Kinder ausgelastet sind (unsere Tochter ist lediglich acht Stunden in der Kita, es gibt ja auch solche, die zwölf Stunden dort sind). Der Schuss geht nach hinten los. Ausfälle, Probleme mit dem Arbeitgeber, mangelnde Energie – das ergibt so keinen Sinn, zumindest nicht in dieser Anfangsphase, die ein bis zwei Jahre dauert.
Könnte eine längere Elternzeit das Problem lösen? Vielleicht. Würden verständnisvollere Arbeitgeber die Lage entschärfen? Möglich. Oder ist schlicht das traditionelle Modell «Vater arbeitet, Mutter daheim» das richige? Wer weiss.
Wir haben die Konsequenzen aus unserem Mini-Kita-Burnout gezogen: Mit einem weinenden Auge schicken wir unsere Tochter in eine andere Kita, in der sie zwei halbe Tage pro Woche sein kann. Falls es dann noch immer nicht bessert, bleibt das Kind eben zuhause.
Reto Hunziker ist 1981 im Aargau geboren, aber das muss noch nichts heissen. Er hat Publizistik, Filmwissenschaft und Philosophie studiert und auch das muss noch nichts heissen. Er arbeitet als freier Journalist und als Erwachsenenbildner und versucht daneben, dem ganz normalen Wahnsinn in einer Patchwork-Familie (Frau, Tochter und Stiefsohn) mit Leichtigkeit und gesundem Menschenverstand zu begegnen – das will was heissen. Alle Blog-Beiträge von Reto Hunziker finden Sie hier.