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Das bemerkenswerte Leben der Osmia B.
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Ümit Yoker (aus: Karl Weiss: Bienen und Bienenvölker; C.H.Beck Wissen)
Kennt ihr das? Seit ich Mami bin, sehe ich in allen möglichen Jungtieren, egal, ob sie mir in echt begegnen oder am Bildschirm, meine eigenen Kinder. Die Art, wie sie tapsend ihrem Instinkt folgen, wie sie mit grossen Augen die Welt erkunden, die ungelenken Bewegungen, ihr blindes und grenzenloses Vertrauen in die Eltern. Manchmal reicht selbst ein Tweet mit unsicherem Wahrheitsgehalt wie etwa: Verwaisten Elefantenbabys sollte man einen dicken Teppich um die Schultern legen, damit sie sich weiterhin zwischen den Beinen ihrer Mutter wähnen. Schon schiessen mir die Tränen in die Augen.
Eine der rührendsten Geschichten handelt allerdings nicht von Welpen, Küken oder sonstigem Nachwuchs, sondern von einer Mutter. Deshalb möchte ich euch heute aus dem Leben von Osmia B. erzählen: Osmia B. ist eine Einzelgängerin und hat auch sonst nicht viel mit ihrer berühmten Cousine, der Honigbiene, am Hut. Gerade gar nichts mag sie dem Brutverhalten ihrer Verwandten abgewinnen. Was für eine Massenabfertigung die in ihren Waben betreibt! Ganz anders Osmia Bicolor, die zweifarbige Mauerbiene: Sie richtet jedem ihrer Eier ein eigenes Zuhause ein. Dazu macht sich Osmia als erstes auf die Suche nach einem leeren Schneckenhaus. Wenn sie ein geeignetes gefunden hat, kriecht sie ganz weit ins Innere des Häuschens und legt dort einen Vorrat aus Pollen und Honig an. Dann setzt Osmia ihr Ei vorsichtig auf das süsse Bett, verschliesst die Brutkammer mit einer Wand aus zerkauten Blättern und füllt den Rest des Gangs mit kleinen Steinchen auf. Der Ausgang wird mit einer weiteren Schicht aus gehärtetem Blattpüree abgedeckt. Unter dem Einsatz all ihrer Kräfte dreht Osmia schliesslich das Nestchen so, dass es mit der Öffnung nach unten liegt – sollte doch ein Spalt offen bleiben, wird das Zuhause so lange untergraben, bis es dicht am Boden liegt. Doch damit nicht genug, jetzt trägt Osmia auch noch eine Unmenge an Kiefernadeln, Ästchen und Halmen herbei und flicht so viele Moosstückchen und Grasstengelchen in diese, bis ein Zeltdach entsteht. Damit der Wind es nicht wegtragen kann, verklebt sie zum Schluss alles sorgfältig mit ihrem Speichel. Osmia hat in ihrem Leben nicht mehr als sechs oder sieben Nachkommen.
Ich bin schon wieder am Heulen.
Ümit Yoker (Jahrgang 77) hätte nie gedacht, dass sie je einen grösseren Umzug wagt als einst den vom zugerischen Baar nach Zürich. Doch die Tochter eines Türken und einer Schweizerin sollte die grosse Liebe in Form eines Portugiesen finden, und nach ein paar gemeinsamen Jahren in der Schweiz und der Geburt von zwei Söhnen zieht die Familie 2014 nach Lissabon. Hier hat sich die Journalistin bisher noch keinen Augenblick fremd gefühlt. In ihrem Blog erzählt sie von Neuanfang und Alltag in der Ferne.