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Stillen ist jetzt Männersache
Männer können ja bekanntlich alles. Und wenn dem mal nicht so sein sollte, verweisen sie mit Vehemenz auf den hinlänglich bekannten Fakt, dass sie ja alles können.
Der Journalist Hajo Schumacher ist dafür ein gutes Beispiel. Für einen Radiosender hat er den Fall einer Berliner Mutter kommentiert, die in einem Café ihr Kind stillen wollte und daran gehindert wurde. Beziehungsweise wollte man sie erst daran hindern und hat sich nach ihrem Protest dafür entschieden, ihr einen anderen Bereich des Cafés zuzuweisen. Damit die Kunden nicht bei ihrem «hochwertigen Kaffeegenuss gestört werden». Das fand Johanna Spanke nicht hinnehmbar, verliess den Ort des Geschehens, machte ihrem Unmut in den sozialen Netzwerken Luft und startete eine Petition.
Hajo Schumacher wiederum hält das alles für ziemlich lächerlich und hat «als zweifacher Vater etwas Fachliches anzumerken». So findet er beispielsweise, dass öffentliches Stillen nur im Notfall stattfinden sollte. Ausserdem sollte frau in einem solchen Café nicht stillen, weil stillen «in relativer Ruhe stattfinden sollte». Gleichzeitig verweist er darauf, dass frau nicht in besagtem Café stillen sollte, weil es sich ja für ein Konzept der Ruhe entschieden hätte und die anderen Gäste nicht gestört werden wollen.
So weit, so unsinnig. Stilles Stillen sollte also nicht in stillen Cafés stattfinden, weil das anderen nicht still genug wäre. Noch was, Herr Schumacher? Ach ja, diese ganzen Berufsnörgler. Menschen, die sich in ihrem Alltag vor ein Problem gestellt sehen und es lösen wollen, sind natürlich «Wichtigtuer mit Narzissmusproblemen» und nerven viel mehr als Wichtigtuer mit Narzissmusproblemen, die das im Radio abfällig kommentieren. Überhaupt, was sollte man denn in so einem Fall für ein Gesetz schaffen können? Ein Recht auf öffentliches Stillen oder was?
Ähm, genau! Grossbritannien verbietet die Diskriminierung von stillenden Müttern seit über 5 Jahren. So unvorstellbar ist ein solches Gesetz. Und ja, es ist eine Diskriminierung. Es ist eine Idiotie, dass wir die Gesellschaft und öffentliche Werbung stetig weiter sexualisieren, während stillende Mütter den Platz zu wechseln haben.
Selbstverständlich hat ein Cafébesitzer Hausrecht. Er hat aber nicht das Recht in sein Fenster ein Schild mit der Aufschrift «Hier keine Schwarzen!» zu hängen. Genauso sollte er es unterlassen, stillende Mütter in irgendeiner Art und Weise als Zumutung zu markieren. Einem kleinen Menschen etwas zu essen zu geben ist nicht gleichbedeutend damit, dem Sitznachbarn auf den Tisch zu kotzen. Sicher, der Besitzer könnte sich noch damit herausreden, dass der Verzehr von mitgebrachten Speisen und Getränken verboten ist. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass er dann als Ersatzleistung anbietet, dem Kind selbst die Brust zu geben.
Wobei: Männer können ja bekanntlich alles.
Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.