Ich wünsche mir eine Schweiz, in der die Familienzeit den Platz und die Wertschätzung erhält, die sie verdient. Wer Kinder grosszieht oder Angehörige pflegt, leistet wertvolle Arbeit und erfährt eine enge Beziehung und Freude. Dazu braucht es viel Zeit – Familienzeit.
Es gibt Phasen im Leben, da ist der Bedarf an Familienzeit besonders hoch. Während der ersten Lebensjahre der Kinder, wenn ein Kind krank ist, oder wenn die Pflegebelastung bei weiteren Angehörigen sehr stark ist, müssten sowohl Männer wie Frauen die Möglichkeit haben, sich von der Erwerbsarbeit (teil)-beurlauben zu lassen.
Ein besonders grosses Pensum an Pflegeund Erziehungsarbeit fällt für Eltern grosser Familien und Alleinerziehende an. Fast jede fünfte Alleinerziehende in der Schweiz ist auf Sozialhilfe angewiesen. Auch grosse Familien gehören überdurchschnittlich häufig zu den «Working Poor» und müssen beim Sozialamt anklopfen, um über die Runden zu kommen. Wer die Familienzeit wertschätzt, sollte dies nicht zulassen. Hier braucht es endlich eine gute politische Lösung – z. B. Ergänzungsleistungen für Familien – und zwar für die ganze Schweiz.
Ich wünsche mir Familienzeit für alle, unabhängig von Geschlecht, Einkommen oder Zivilstand. Erst dann ist die Wertschätzung der Familienarbeit mehr als ein Lippenbekenntnis.
Michelle Beyeler ist Dozentin für Sozialpolitik an der Berner Fachhochschule, verheiratet und zweifache Mutter.