Oberstufe
Bestanden? Oder nicht?
3731 Sechstklässler im Kanton Zürich haben vor ein paar Wochen Post gekriegt. Einen unauffälligen schmalen Brief. Einen von vielen, die schnell zwischen den Werbeprospekten untergehen. Aber auch einer von denen, die dem Leben einen kräftigen Schubs in die eine oder andere Richtung geben. Inhalt des Briefes: Die Ergebnisse der Aufnahmeprüfung fürs Langgymnasium. Für rund 50 Prozent der Kinder hiess das Jubeln, für die anderen tapfer sein oder noch mal Speedlernen: 20 Prozent von ihnen müssen an die mündliche Prüfung.
Im letzten Teil unserer vierteiligen Serie fragen wir «unsere» drei Prüflinge, die wir durch Vorbereitungszeit und Prüfungsstress begleitet haben, nach dem Resultat. Und natürlich nach der Zukunft. Zwei von ihnen haben es geschafft, finden das Dasein gerade rundherum rosarot und himmelblau getupft; einer von ihnen muss mit einer Enttäuschung fertig werden. Die Prüfung ist für alle gleich, Ausgangsbedingungen und weitere Lebenswege sind es nicht.
Ajith, 13
Leider habe ich die Prüfung nicht bestanden. Das ist traurig. Der Aufsatz ist völlig danebengegangen. Ein bisschen habe ich mir das schon gedacht, weil ich im Deutschen eben nicht so gut bin. Ich gehe in die Tamil-Schule, weil ich doch meine Muttersprache richtig beherrschen muss; ich gehe auch noch in die Englisch-Schule, weil Englisch die wichtigste Sprache der Welt ist – vielleicht sollte ich auch noch in eine Deutsch-Schule gehen. Mal sehen. Mein Bruder hat mir jedenfalls gleich gesagt: «Ajith, wenn der Brief kommt: nicht heulen.» Mit ihm bin ich auch am Tag vor der Prüfung in die Kirche gegangen. Ich glaube, es war eine katholische. Eigentlich sind wir zwar Hindus, aber ich habe gedacht: In der Not kommt es vielleicht nicht drauf an. Naja. Der Brief mit dem Ergebnis ist morgens gekommen, und als ich mittags gelesen habe, dass ich durchgefallen bin, war es doch nicht ganz einfach, nicht zu weinen. Vor allem der Nachmittag in der Schule war schlimm. Alle Klassenkameraden sind auf mich zugelaufen, um nach dem Ergebnis zu fragen; da bin ich weggerannt. Trotzdem bin ich komischerweise auch ein winziges bisschen erleichtert. Als ich am Prüfungstag an der Hohen Promenade war, hatte ich plötzlich das Gefühl: Hier sind alle doch sehr anders, das könnte schwer für dich werden, Ajith. Mein Vater hat gesagt: «Okay, dann versuchst du es eben in zwei Jahren noch mal.» Das will ich auch. Ich lass mich nicht entmutigen.
Hanna, 11
Gut geht es mir. Richtig gut. Erstens bin ich endlich wieder gesund, und zweitens hab ich die Prüfung bestanden. Am Freitag, als das Ergebnis kam, lag ich noch schlapp im Bett: Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit – alles. Als ich mit meiner Mutter den Brief aufgemacht habe, hab ich gar nicht gleich geschnallt, ob das gut ist, was da steht. Ich wusste es allen Ernstes nicht sofort. Vermutlich habe ich wegen des Fiebers etwas langsam geschaltet. Am Prüfungstag war ich wahnsinnig nervös. Ich habe vor lauter Aufregung meine Tasche im Flur stehen lassen. Der Aufsatz ist gut gelaufen. Die blödeste Aufgabe war in der Sprachprüfung: Finde fünf Adjektive mit –mütig, beispielsweise übermütig. Ich hatte keine Ahnung. Gutmütig habe ich, glaub ich, noch gefunden und ansonsten hab ich einfach irgendwelchen Blödsinn geschrieben: obermütig, untermütig, sowas ... Ich hab mir gedacht, Minuspunkte wird es wohl nicht geben und vielleicht existiert eines meiner komischen Wörter ja zufällig. Bin ich froh, dass ich durchgekommen bin. Hätte mich auch total geärgert, hier durchzufallen, wo ich in Deutschland, also vor unserem Umzug, doch schon am Gymnasium angemeldet war. Papa hat mir zur Belohnung einen richtig grossen Blumenstrauss mit Tulpen und Hyazinthen mitgebracht. In den Frühlingsferien fahren wir – auch ein bisschen als Stress-Entschädigung – nach Amerika, da freu ich mich wahnsinnig drauf. Und eigentlich auch auf die Probezeit an meiner neuen Schule. Dann geht wenigstens endlich wieder was.
Nico, 12
Bestanden! Gott sei Dank! Am Freitag ist die Benachrichtigung gekommen. Ich habe den Brief erst mal geschlossen neben das Telefon gelegt und ihn mir ein bisschen von Weitem angeguckt. Ich war doch ziemlich nervös, weil ich in Deutsch nicht richtig fertig geworden bin und meine Vornote mit 5,25 zwar okay war, aber auch nicht gigantisch. Aber dann hab ich die Post doch aufgemacht – und: drin! Ich hab als Erstes meine Mutter angerufen. Die hat sich wahnsinnig gefreut. Ich glaube, sie hat mich gar nicht sofort verstanden, weil ich so gejubelt habe. Jetzt hab ich endlich mehr frei und die dauernde Lernerei hat ein Ende. Apropos lernen. Ohne mein Lernstudio hätte ich die Prüfung jedenfalls noch schwieriger gefunden, die war nämlich wirklich nicht einfach. Vor allem in Mathe haben wir in dem Studio gezielt verschiedene Aufgabentypen geübt mit passenden Theorieblättern dazu. Zum Beispiel diese Aufgaben zur Proportionalität haben wir in verschiedenen Varianten durchgearbeitet. Ich habe das dort viel besser verstanden als in der Schule. Ausserdem haben wir in diesem Kurs jede Woche einen Aufsatz geschrieben, da ist man mehr in der Übung und es fällt einem schneller etwas ein.
Am Tag vor der Prüfung hatte ich ein Handballspiel. Das war gut, da war ich abgelenkt. Ausserdem haben wir gewonnen. Morgens am Gymnasium war ich aber recht nervös. Während der Prüfung aber dann gar nicht mehr. Ehrlich gesagt: Ich hatte auch gar keine Zeit zum Nervös-Sein. Meine Mutter hat mir übrigens vorher einen Glücksbringer aufgedrängt. So einen kleinen Elefanten, den sie mal aus Indien mitgebracht hat. Erst hab ich gedacht: Wie peinlich ist das denn? So ein Tierchen, in meinem Alter! Aber dann hab ich ihn doch mitgenommen. Im Hosensack hat den ja zum Glück keiner gesehen. Vielleicht hat er ja was genützt. Übrigens habe ich zur Belohnung für die bestandene Prüfung einen Kopfhörer geschenkt gekriegt. Leider nicht ganz den richtigen. Meine Mutter fand den in Grün wohl cool. Aber nächste Woche kaufen wir einen anderen. Hach! Ist das schön, durchgekommen zu sein! Mein Freund hat es auch geschafft. Von uns neun, die am Aufnahmetest waren, haben sechs bestanden. Das ist toll. Ich freue mich so auf die neue Schule. Ich hoffe echt, dass mir da dann mal endlich nicht so oft langweilig ist.