Aus dem Vaterland
«Bang! Bang! My Baby shot me down»
Neulich im Wald. Die Sonne scheint, es ist warm, die Vögel pfeifen. Mein Sohn (3 ½) sucht einen Ast und macht diesen zum Gewehr. Er schiesst auf einen Vogel. Fertig Idyll. Ich muss lachen. Jawohl, Idylle gehören zerstört!
Doch plötzlich stutze ich und schaue zum Sohn. Hat er gesehen, dass ich lache? Nein, hat er nicht. Ich blicke mich um. Niemand hat es gesehen. Obwohl sich in diesem kleinen Vorortswäldchen alle zehn Meter jemand naherholt. Ich will nicht, dass jemand sieht, wie ich über das Vogelabschiessen meines Sohnes lache, und eigentlich will ich selber auch nicht darüber lachen.
Ich erinnere mich an einen Urlaub in Polen, mein Sohn war damals noch im Prä-Waffennarren- Alter. Dort schossen kleine, in Camouflage gewandete Jungs mit äusserst original aussehenden Plastikwaffen am Strand die Badegäste reihenweise ab, sehr zur Freude ihrer strahlenden Väter. So nicht, dachte ich damals. Aber viel weiter dachte ich leider auch nicht.
Ich schaute einfach, wie andere Eltern in meinem Umfeld die Waffen-Frage handhabten und machte ihnen alles nach. Der Grundtenor: Verbieten bringt nichts, aber begrenzen (so wie ja das Grenzensetzen allgemein der kleinste gemeinsame Nenner der Elternschaft ist) – kein Plastik, kein Naturalismus, lieber Hiebund Stech- als Schusswaffen.
So bastle ich jetzt mit meinem Buben Nachmittage lang Schwerter aus Karton, Helme aus «papier mâché» und Holzspeere. Das Schusswaffenembargo wurde sehr schnell gebrochen, doch die anderen Regeln halte ich brav ein. Besser noch: Die Basteleien verbuche ich unter handwerklich-kreativer Betätigung. Das hilft natürlich nur mir. Dem Sohn ist das egal, Hauptsache schiessen, treffen, töten. Mit dem originell bemalten Gipsgewehr aber darf er nicht auf Menschen oder Tiere schiessen, sondern nur auf Dinge. Auch diese Regel habe ich abgeschaut. Wird er deshalb eines Tages friedliebender sein als die polnischen Ballermänner?
Zurück im Wald: Mein Sohn zielt mittlerweile mit Pfeil und Haselbogen auf einen Baumstamm. Normalerweise verbuche ich das unter «Training der Feinmotorik und Konzentrationsübung» – jetzt beschleicht mich plötzlich ein seltsames Gefühl. Denn wir wissen, dass für kampfbereite Kinder auch eine Brotrinde zur Pistole werden kann. Wer sagt mir nun, dass mein Bub die Waffe sich nicht als Maschinengewehr vorstellt und den Baum als seinen verhassten Nachbarn Luca, dem gerade der Kopf explodiert und dessen Gliedmassen durch die Luft fliegen? Und wenn ich schon bei Gewaltorgien bin – kann ein Vater glaubwürdig Gewaltprävention betreiben, dessen Lieblingsfilm «Machete» heisst? Wobei Machete nicht das Säbelmesser als praktisches Werkzeug bezeichnet, sondern einen Mann, der Macheten schwingend durch den Film rennt und seine Feinde zerhackt. Eine menschgewordene Waffe sozusagen.
Und doch, das muss ich zu meiner eigenen Beruhigung sagen, bin ich ein recht friedlicher Mensch, wie mich dünkt. Wie mir das gelungen ist? Vermutlich habe ich als Kind genügend Vögel abgeschossen. Mit einer sehr naturalistischen Käpsli-Pistole.