Fleischlose Ernährung
Auf dem Vegi-Trip
«Ihr seid gemein!», befand Linus eines Tages am Mittagstisch. Sein grosser Bruder hatte ihm eben erklärt, dass die Wurst auf seinem Teller aus getöteten jungen Säuli gemacht ist. Tierliebhaber Linus war entsetzt. «So öppis iss ich nöd!», sagte der Kindergärtler, schob den Teller weg und war fortan Teilzeit-Vegetarier. Die Gespräche am Familientisch drehten sich in den nächsten Wochen um böse Jäger, grausame Metzger und gebratene Tierleichen. «Wir assen automatisch weniger Fleisch», erinnert sich Linus’ Mutter Karin Fischer, «ich machte mich auf die Suche nach Ersatzprodukten.»
Ein Versuch, der kläglich scheiterte. Das erste Hotdog-Würstchen aus Quorn, einem handelsüblichen Fleischersatz aus fermentiertem Schimmelpilz, bescherte Bauchkrämpfe. Den Bub zum Fleischkonsum zu zwingen, stand trotzdem nie zur Diskussion. «Linus soll sich ernst genommen fühlen», sagt sein Vater Stefan Hostettler. Er selber habe als Jugendlicher eine «vegetarische Phase» gehabt und darunter gelitten, dass seine Eltern kein Verständnis gezeigt hätten. Einen allgemeingültigen Tipp, wie man mit kleinen Vegetariern umgehen soll, kann Kinder- und Jugendpsychiaterin Wiebke Rebetez nicht geben. «Die Eltern sollen sich ihrer eigenen Haltung bewusst sein, diese authentisch vertreten.» Zwang sei sicher keine Lösung.
Linus ist kein Einzelfall. «Viele Kinder realisieren irgendwann im Vorschulalter, dass das Fleisch auf dem Teller von Tieren stammt», sagt Regula Widmer Boos, diplomierte Ernährungsberaterin. Bei vielen Kindern werfe diese Erkenntnis Fragen auf. Widmer Boos unterrichtet Krippen- und Hortpersonal in vegetarischem Kochen für Kinder. Persönlich hält sie einen gemässigten Fleischkonsum für gesünder und ökologischer, denn «wir sind Allesfresser». Sie rät, Kindern den Kreislauf der Natur zu erklären. Wer Milch trinken und Käse essen wolle, muss auch ab und zu Fleisch essen. Denn um Milch geben zu können, müsse eine Kuh regelmässig ein Kalb bekommen. «Genau genommen sollte man also auf Milchprodukte verzichten, wenn man kein Fleisch isst.» Für Kinder sei dies aber kein gangbarer Weg.
Fleischlos gesund?
Eltern stellen sich die Frage, ob die Vegi-Kost nicht zu Mangelerscheinungen führt. «Wenn ein Kind ein paar Wochen oder Monate kein Fleisch isst, fehlt ihm nichts, da der Körper über Reserven an Vitaminen und Mineralstoffen verfügt», sagt Widmer Boos. Ernähren sich Kinder über aber längere Zeit fleischlos, genügt es nicht mehr, das Fleisch wegzulassen und nur die Beilagen zu servieren. Wichtig sei dann auf genügend Proteine und eisenhaltige Lebensmittel zu achten. Beides sei fleischlos möglich, wenn die Lebensmittel richtig kombiniert würden, zum Beispiel Gschwellti und Käse oder Röschti und Spiegelei. «Dieses Wissen ist leider verloren gegangen», sagt Widmer Boos.
Und Linus? Der züchtet im Moment Kellerasseln und isst wieder Fleisch. Aber Vegetarier ist er immer noch. Sagt er. Einfach mit Ausnahmen. Und damit liegt Linus voll im Trend: Als Flexitarier gehört er zu einer wachsenden Gruppe junger urbaner Menschen, die im Alltag weitgehend auf Fleisch verzichten, aber bei Omas Sonntagsbraten auch einmal herzhaft zulangen. Ohne schlechtes Gewissen.
Vegi-Tipps
- Täglich Milch- und Milchprodukte konsumieren.
- Hülsenfrüchte wie Linsen, Bohnen, Erbsen und Co. liefern hochwertiges Eiweiss, vor allem wenn sie mit Getreide kombiniert werden.
- Eier sind gute Eiweiss- und Vitamin-B-Lieferanten.
- Vollkornprodukte vorziehen.
- Gemüse täglich servieren.
- Vitamin C hilft, das Eisen aus pflanzlichen Lebensmitteln besser aufzunehmen, z.B. zum Essen Orangensaft trinken.
- Fachleute raten bei Kindern von veganer Ernährung (Verzicht auf alle Produkte tierischer Herkunft) dringend ab.
(Quelle: Caroline Bernet, Leiterin Nutrinfo)
Ein Vergleich
Zirka 11 Gramm Proteine sind enthalten in:
- 50 Gramm Fleisch
- 35 Gramm Parmesan
- 1 Ei
- 100 Gramm Magerquark
- 4 Deziliter Milchdrink
50 Gramm Fleisch entspricht der empfohlenen Menge Fleisch für 2- bis 6-jährige Kinder, maximal 5-mal pro Woche.
(Quelle: Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE), www.sge-ssn.ch)