Kinderwunsch?
Eltern werden: 55 Gründe dagegen
Von Anna Miller
Will ich Kinder? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Gründe dagegen gibt es viele. Eine Abrechnung in Listenform.
- Ich muss den Fensterplatz im Zug für immer aufgeben.
- Meine Schokoladenglace wird mit aller Sicherheit angeschleckt sein, wenn ich davon esse. Jedes einzelne Mal.
- Ich werde langsam vergessen, wie es sich anfgefühlt hat, auszuschlafen.
- Durchzuschlafen.
- Einzuschlafen.
- Allein.
- Jemand wird an meinen Haaren reissen, es wird weh tun, ich darf aber nicht auch reissen.
- Ich muss so tun, als würde ich gerne Erbsen essen, weil ich Vorbild bin.
- Ich darf die Erbsen nicht in den Teller meines Partners werfen, wenn die Kinder zuschauen.
- Er wird sie in meinen Teller zurückwerfen, wenn wir wegen Windeln gestritten haben.
- Ich muss Selfies im Kinderzoo machen, obwohl ich Elefanten nicht mag.
- Ich muss ins Freie, wenn es regnet.
- Ich muss ins Freie, wenn es schneit.
- Ich muss mir Pelerinen kaufen, weil es keine schlechten Kleider gibt, nur schlechtes Wetter.
- Ich räume den ganzen Tag lang auf und bin zu Diensten, ohne dafür bezahlt zu werden.
- Ich muss jeden Morgen das Bett machen, weil ich das auch von meinen Kindern erwarte.
- Ich kann nicht mehr schwindeln, weil das moralisch nicht okay wäre und es jetzt jemanden gibt, der sich diese Dinge tatsächlich merkt.
- Ich muss mich, wenn ich ins Nirgendwo fahre, fragen, was es da mit Kindern Tolles zu machen gibt. Mir wird nichts einfallen. Ich werde trotzdem etwas Tolles machen müssen.
- Meine Freunde werden über Gaggi reden wollen.
- Meine Freunde werden über Bisi reden wollen.
- Ich werde über Gaggi und Bisi reden wollen.
- Ich werde deshalb einige enge Freunde verlieren.
- Ferien in einem Luxushotel werden zu einem Fremdwort aus vergangenem Leben.
- Ferien auf einem Biobauernhof mit Schweinchen und Erlebnistagen werden zu einem sehr vertrauten Ort.
- Alle meine Kleider werden voller angetrocknetem Sabber sein.
- Oder frischem Brei.
- Oder zerschlissen, von kleinen, dreckigen Kinderhänden verzogen und zerbissen.
- Ich bekomme Spielsachen ins Gesicht geschmissen und muss dabei lachen.
- Meine Brüste werden mir in die Schuhe hängen, nachdem ich gestillt habe.
- Ich werde als Rabenmutter gelten, wenn ich nicht gestillt habe.
- Ich werde gekündigt oder zwangsbeurlaubt, weil ich jetzt Mutter bin.
- Ich werde von meinen Arbeitskollegen gehasst, weil ich das Büro um 16 Uhr verlassen muss, weil die Krippen in der Schweiz nur bis 17 Uhr auf haben. Wenn überhaupt.
- Ich muss meine Schwiegermutter wieder öfter sehen.
- Ich muss mit meinen Schwiegereltern Weihnachten feiern, Lieder singen und mir anhören, dass man früher ganz anders erzogen hat.
- Ich werde Mamablogs lesen.
- Ich werde gerne Mamablogs lesen.
- Ich darf mir keine Bratwurst mehr kaufen, wenn ich den Kindern Brote geschmiert habe. Weil sie dann auch Bratwurst wollen, ich dann 100 Franken ausgebe und damit unser ganzes Freizeitbudget für einen Monat.
- Ich werde keine Zeit mehr haben, ohne Headset zu telefonieren.
- Ich habe entweder eine ausgeleierte Vagina oder eine Narbe über meinen Bauch.
- Der Vater meiner Kinder wird einen Schock davontragen, weil er mich gebären sah.
- Ich werde ewig auf ihn wütend sein, wenn er mich nicht gebären sah.
- Ich verbringe Monate damit, eine Badewannengeburt zu planen, um dann einen Kaiserschnitt zu machen.
- Die Nudeln werden nie wieder al dente sein.
- Samstagabend ist nur ein weiterer Abend einer unendlichen Ansammlung von Abenden, an denen das Baby schreit oder das Kind ins Bett muss, aber nicht will.
- Neun Uhr abends ist plötzlich unfassbar spät.
- Schmutzige Schuhe trampen über frisch gewischten Boden.
- Ich darf nicht mehr laut fluchen, weil ich Nachahmer habe.
- Ich mache es trotzdem. Dann beleidigen mich fremde Menschen auf der Strasse, weil ich meine Kinder nicht erziehen kann.
- Ich habe ein Burn-out, weil ich mich für eine miese Mutter halte.
- Ich habe ein Burn-out, weil ich mich im Job verausgabe, weil ich eine Working Mom sein will, die so tut, als habe sie nie Kinder bekommen.
- Ich habe keine Zeit, meine Achseln zu rasieren.
- Ich bekomme immer noch meine Tage.
- Ich werde mir einen hässlichen, grossen Wagen kaufen müssen, der sich praktisch fahren lässt und in den Passkurven keinen Spass mehr macht.
- Meine Kinder werden in den Passkurven aus dem Fenster kotzen.
- Mich geht das plötzlich etwas an.
Ein richtig schlechter Deal, dieses Kinderkriegen. Zumindest erscheint es mir so, weil diese Liste immer länger wird, mit jeder Minute, die ich älter werde. Wohl gerade deshalb scheint mir dieses Kinderkriegen so rätselhaft und verheissungsvoll und irrational und unverständlich: Weil es sich nicht rational rechtfertigen lässt. Weil es in ein Minus zeigt, das so tiefrot ist, dass nur ein Wunder diese Gleichung auszugleichen vermag.
Vielleicht ist es tatsächlich das Wunder der Geburt, dieser Moment, der das Leben in eines vor Kind und eines mit Kind teilt. Ein Leben, das ich nur vage erahnen kann und erst erleben werde, wenn ich selbst ein Kind habe. Bis dahin bleibt mir nur das Rätseln über eine Rechnung, die die Natur neu schreiben wird und wahrscheinlich mit grossem Plus endet – obwohl sie mit so vielen Punkten Anstrengung beginnt.
1.3.2017
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