Sri Lanka
Alleinreisen: Der erste Trip nach der Trennung
Von Anna Bürgin
Frisch getrennt – jetzt erst recht! Sagte sich die Single-Mum Anna Bürgin und machte sich mit ihren zwei Kindern Ayana und Keanu auf die erste interkontinentale Reise im Alleingang.
Im letzten Januar hat mich das Reisefieber ohne Vorwarnung gepackt. Ich brauchte dringend einen Klimawechsel: tropische Luft, lauwarmes Meer, Dschungel, exotische Gerüche. Covid-19 hin oder her! Dasein als Single-Mum hin oder her! Ein paar Monate davor hatte ich mich von meinem Mann getrennt und damit vorerst auch vom Traum mit Mann und Kind die grosse, weite Welt zu bereisen.
Die Reise nach Kenia mit meiner Familie vor über 40 Jahren hat einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Sie war ein Highlight in meinem Leben. Und genau dies wollte ich meinen Kindern auch bescheren.
Aber mit der Trennung war plötzlich fertig lustig. All die wundervollen Pläne futsch. Jedenfalls bis zu dem Tag im Januar, als mit einem «Dingeling» Ferienfotos von einer befreundeten Familie, die gerade durch Costa Rica reiste, in meinem Postfach landeten. Da kitzelte sie mich wieder, die Lust auf Abenteuer. Ich will doch nicht meinen gesamten Lebensplan in den Abfalleimer schmeissen, nur weil ein Teil davon nicht funktioniert hat!
Nach ein paar Stunden Recherche war klar: Sri Lanka hat alles, was ich zum Reisefiebersenken brauchte. Zudem würde sich mit einer Zeitdifferenz von dreieinhalb Stunden auch der Jetlag für meine Kinder in Grenzen halten. Den Flug buchte ich sofort, aus Selbstschutz. Natürlich aber nicht, bevor ich Ayana (10) und Keanu (12) an Bord hatte: Mit den Fotos von wildlebenden Elefanten, riesengrossen Meeresschildkröten und Kokosnüssen zum Ausschlürfen gelang das in Nullkommanichts.
Mit der Zeit allerdings rückte nicht nur das Abreisedatum näher, sondern auch meine Zweifel, das Abenteuer ohne Mann, der mich im Notfall retten könnte, anzutreten. Denn mit meiner Länderwahl habe ich zwar versucht, das Risiko für uns zu minimieren. Dennoch ist Sri Lanka ein Land, in dem Tollwut, Denguefieber und chaotische Strassenverhältnisse herrschen. In dem es Terroranschläge und einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg gab. Ausnahmsweise, wegen der vielen Covid-19-Unklarheiten, entschied ich mich, wenigstens den Flug über ein Reisebüro zu buchen.
Zwar arbeitete ich schon früher bei grösseren Reisen bis kurz vor Abflug. Damals hatte ich aber entweder keine Kinder, oder einen Partner, der bei den Vorbereitungen half.
Abflug verpasst
Mut und Zuversicht schwanden. Ich hatte schlicht zu viel Arbeit, um tagsüber seriös zu planen. Also tat ich es in den Nächten, bis ich mit der Route zufrieden war. Beim Zimmerbuchen wurde ich permanent daran erinnert, dass ich Alleinerziehend bin und damit nicht dem Standard entspreche: Sieben Mal musste ich die automatisch erscheinende «2» vor «Erwachsene» in eine «1» umwandeln und mir ab dem vierten Mal gut zureden, damit mein Selbstwert nicht flöten ging.
Mitten im Hoch der sich endlich einstellenden Vorfreude wurde mein Mut (oder wäre es passender zu sagen, mein Flair fürs Leichtsinnige?) erneut auf die Probe gestellt: Genau neun Tage vor Abflug erlaubte sich die Nachrichtensprecherin übers Radio zuverkünden: «Sri Lanka liegt in Schutt und Asche. Das Land ist bankrott, es gibt weder Benzin noch Medikamente und das gesamte Parlament ist zurückgetreten.»
Hallo Schicksal, was fällt dir eigentlich ein? Da traue ich mir eine Fernreise allein mit meinen Kindern zu, wühle mich nächtelang durch den «Lonely Planet» und das Internet – und jetzt das? In den darauffolgenden Tagen galt meine Aufmerksamkeit den weltweiten Nachrichten sowie den Statusmeldungen der Reisebloggern, die sich aktuell im Land meiner Träume aufhielten. Nach langem Hin und Her entschied ich schliesslich, die Reise trotz der schlechten Vorzeichen anzutreten.
Am Reisetag fuhren wir drei übermütig mit dem Taxi zum Flughafen. Doch die nächste Hiobsbotschaft ereilte uns schon beim Check-in: Der Herr am Schalter informierte uns, dass uns das Reisebürofalsch informiert hätte. In Dubai, wo wir hätten zwischenlanden müssen, reicht für Zwölfjährige das Covid-19-Genesen-Zertifikat doch nicht. Ein aktueller Coronatest musste her, und zwar ein bisschen plötzlich. Das Ergebnis kam exakt fünf Minuten zu spät. Tschüss Flugi.
Mami, das ist so schön
Tief durchatmen, daran denken, dass (bis jetzt) noch alle leben. Ich beruhigte die Kinder: «Alles ist gut, wir werden irgendwie nach Sri Lanka kommen. Einfach ein bisschen später...» Innerlich sah es anders aus: Unterdessen war ich sicher, dass das Universum mir dringend etwas mitteilen wollte, das ich seit Tagen stinkfrech ignorierte. Ich rechnete damit, dass wir, wenn nicht im Flugzeug, dann wohl spätestens in Sri Lanka zur Strafe das Zeitliche segnen würden. Weder der Koffer voller Medikamente würde uns davor bewahren noch der Ehering, den ich reaktiviert hatte, um mich auf der Reise vor Sittenstrolchen zu schützen.
Aus 11 Stunden Anreise wurden 34. Dafür sahen wir nicht nur Dubai, sondern auch die Malediven. Keanu füllte während starken Turbulenzen zielsicher alle – exgüsi – Kotzbeutel. Auch diejenigen unserer Sitznachbarn. Die Kinder ertrugen die Reisestrapazen jedoch so tapfer, dass ich mich trotz erschwerter Bedingungen nicht einmal nach einer starken Schulter sehnte.
Im Nachhinein betrachtet hat das Happy End dann aber doch recht früh begonnen. Und zwar bereits am Tag zwei unserer Ferien. An Morgen, nach der unendlich langen Reise und der ersten, unheimlichen Nacht in diesem fremden Land, Tausende Kilometer weit weg von zu Hause. Wir waren beim Frühstück im tropischen Garten unserer einfachen Unterkunft am Meer. Ein grosser Vogel setzte sich auf die Rücklehne von Keanus Stuhl und beäugte ihn neugierig, wie er sich genussvoll ein süsses Ananasstück in den Mund schob. Gleich darauf begrüssten die Kinder zwei Schildkröten, die im Hotelgarten frei herumliefen. Jetzt war das Eis gebrochen, beziehungsweise geschmolzen, unter der tropischen Sonne Sri Lankas. Als wir dachten, das tierisch-köstliche Frühstück und der Sprung ins Badewannen-Wasser-Meer seien sicherlich die Tageshighlights gewesen, holte uns Praveen, unser Chauffeur ab. Während einer privaten Bootsfahrt durch engere und breitere Flussarme sahen wir die buntesten Eisvögel, kleine bis krokodilgrosse Warane und Pflanzen so üppig wie im Paradies. Als die bis dahin noch etwas skeptische Ayana sagte: «Mami, das ist das Schönste, was ich jemals gesehen habe», wusste ich: jetzt sind wir alle angekommen.
Chauffeur Praveen
Die darauffolgenden 18 Tage verliefen, wie ich es in den kühnsten Träumen nicht zu hoffen wagte: Jeder Tag brachte Neues, unvergleichlich Schönes. Sei es das Bad im Fluss mitten im Dschungel, der Kochkurs, der Gesang der Mönche im mystischen Ella, die Elefanten-Safari, das Schnorcheln mit den Meeresschildkröten, das Wellenreiten, die rasenden Tuktuk-Fahrten, die wunderhübschen Unterkünfte oder unser Chauffeur, Praveen, der ein guter Freund wurde. Durch seine fürsorgliche Art gab er mir das Gefühl, das fehlende Familienmitglied neben mir zu haben. Zum Frühstück kochte er uns den besten Tee, servierte uns am Nachmittag den frischesten Büffel-Jogurt und fuhr ohne Eile immer dorthin, wo ich das nächste Abenteuer geplant hatte.
Angst, nachts im Dschungel
Der einzige Moment, in dem ich auf diesem Trip jemanden vermisste, war während jener Nacht in einer Hütte ohne Fensterscheiben mitten im Dschungel. Gerne hätte ich mir beim Lauschen auf die Schritte eines Bösewichts hin und wieder beruhigend die Hand tätscheln lassen. Dafür war das Reisen zu dritt unkomplizierter als früher zu viert. Wir unternahmen, was uns dreien am besten gefiel, ohne uns weiter absprechen zu müssen. Der vermeintlich leere, vierte Stuhl am Tisch war an den meisten Abenden von grossen und kleinen Reisenden aus aller Welt besetzt. Oft wurden noch mehr Stühle zu uns gerückt und wir hielten fröhliche, internationale Tafeln, bei denen die Erwachsenen tranken und plauderten, während die Kinder spielten.
Auf dem Rückflug von Colombo nach Zürich überkam mich ein bis dahin gänzlich fremdes Gefühl. Es bescherte mir Hühnerhaut am ganzen Körper. Eine Mischung aus Erleichterung, dass alles gut gegangen war, Stolz, dass ich es allein gewagt hatte und unendliche Freude über diese grossartige Reise mit meinen zwei Liebsten. Sie sind die lustigsten, aufmerksamsten und unkompliziertesten Reisebegleiter, die man sich wünschen kann. Wie wunderbar, haben wir dieses Abenteuer gemeinsam erlebt! Diese Reise wird, zumindest bruchstückhaft, immer in ihrer Erinnerung bleiben. «Moderne» Familienverhältnisse hin oder her.