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Der 15 Minuten Papa
zvg
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Das Internet ist voller Untoter: Stories, Bilder und urbane Legenden, die einfach immer wieder zurückkehren. So bekomme ich beispielsweise mindestens dreimal im Jahr den Hinweis auf einen Artikel von Wolfgang Bergmann. Jungen, heisst es darin, seien verweichlicht und verweiblicht, Schuld daran die böse, böse Frauenwelt. Der Text ist von 2010, der Autor mittlerweile verstorben. Trotzdem graben Menschen ihn aus, um ihn anschliessend zu feiern oder furchtbar zu finden.
Der 15 Minuten Papa ist auch so ein Kandidat. Wann immer es um Erziehungszeiten für Väter geht, um die Neuorganisation von Care-Tätigkeiten oder um prominente Männer, die ihre Vaterschaft verschiedentlich gestalten, kommt dieser Text. Weil Mann eben auch «in 15 Minuten ein toller Papa sein kann». Mit ein bisschen Singen, Blickkontakt und Beziehungsaufbau. Ich hasse diesen Text. Ich hasse die Vorstellung, dass wir in einer Gesellschaft leben, wo Vorgesetzte Verständnis dafür haben, dass Mann wegen Fussball EM überpünktlich Schluss machen darf, aber nicht für seine Familie. Ich hasse es, dass Menschen vor die Wahl gestellt werden, ob sie Kind oder Karriere wollen, und für viele Väter die Entscheidung schon vorher feststeht. Ist ja sowieso eher Frauensache. Mann ist gerade an einem kritischen Punkt in der Karriere. Und überhaupt kann man ja auch in 15 Minuten ein toller Papa sein. Muss reichen.
Tut es aber nicht. Ich kann jeden verstehen, der sich in einer entsprechenden Lebensphase befindet und versucht, die einzigen 15 Minuten mit seinem Kind so intensiv wie möglich zu gestalten. Aber der 15 Minuten Papa hat in der kurzen Zeit keine Krisen bewältigt, Essen gekocht, 50 Mal das Lieblingsbuch vorgelesen oder, man stelle sich vor, etwas mit seinen anderen Kindern gemacht. Sein Pendant, der 30 Minuten Papa, kann immerhin schon eine Windel wechseln. Und der 60 Minuten Papa schafft es sogar, die Mutter des Kindes zu lieben.
Hurra aber auch! 15 Minuten, das liesse sich doch bestimmt noch reduzieren: 7 Minuten Family Workout. Darunter geht es natürlich nicht. Aber mal im Ernst: Vielleicht sollten wir uns jeden Tag 15 Minuten Zeit nehmen, um darüber nachzudenken, wie wir die Gesellschaft so verändern können, dass Männer keine Ratschläge mehr brauchen und wollen, um in 15 Minuten ein toller Vater zu sein. Das wäre doch mal was.
Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.