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Kinder als Petzen und Denunzianten
Im Allgemeinen kann ich Kinder ziemlich gut leiden. Weil ich mich für ihre Ansichten interessiere, ihre Geheimnisse respektiere und nicht davor zurückschrecke, mich auch mal zum Kaspar zu machen, haben wir schnell einen Draht zueinander. Wer bereit ist, sich von Kindern etwas erzählen zu lassen, ohne ihre Person und ihre Meinung zu bagatellisieren, dem begegnen sie mit grosser Offenheit und Redseligkeit. Ich betrachte das oft als Gewinn. Die wenigsten Kinder, die ich kenne, sind langweilig. Die meisten haben einen schrägen Humor, eine bestimmte Sicht auf die Welt oder irgendetwas anderes, was sie auszeichnet und eine Unterhaltung mit ihnen angenehm macht. Es gibt aber auch Kinder, bei denen ich es einfach nicht schaffe, diese bestimmte Eigenschaft zu sehen. Stattdessen sehe ich andere, die mich unfassbar nerven.
Denunzieren zum Beispiel. Ein Kind aus meinem näheren Umfeld hält es seit Monaten für angebracht, mich bei jeder Gelegenheit vollzupetzen. Der hat das und das gemacht. Die hat ihr Mittag nicht aufgegessen. Eines meiner Kinder wollte heute zur Pause nicht auf den Schulhof gehen.
Ich frag mich dann immer, wieso mir das erzählt wird und was ich mit solchen Informationen anfangen soll. Bin ich der einzige, für dessen Ohren diese Petzereien bestimmt sind? Ist damit eine Handlungsaufforderung verbunden? Obwohl mir Petzen immer mal wieder begegnet und mich darum bemühe, mich fair zu verhalten, fällt es mir in diesem Fall ausgesprochen schwer. Petzen ist eigentlich die Kehrseite von Anvertrauen und es gibt genug Situationen, in denen dieses Anvertrauen unumgänglich ist. Dass Kinder (wie übrigens Erwachsene auch) dabei manchmal übers Ziel hinaus schiessen, finde ich nachvollziehbar. Aber dieses Kind ist anders. Es petzt nicht etwa Problemlagen und erwartet dann, dass ich sie kraft meiner Erwachsenenautorität löse. Ihm wurde nichts weggenommen, niemand war gemein. Es denunziert einfach munter drauflos, ohne jeden Bezug auf sich selbst. Ich finde das ehrlich gesagt ziemlich irritierend – um nicht zu sagen abstossend. Ich will von diesem Kind nicht mit kleinlichen Details über Dinge, die es allesamt selbst schon mindestens einmal gemacht hat, in eine vertrauliche Komplizenschaft gequatscht werden. Ich kann aber auch nicht so tun, als stünde hinter all dem in meinen Augen kein Aufmerksamkeitsbedürfnis. Vielleicht war ja doch jemand gemein. Nur eben nicht die, die verpetzt werden.
Ich bin wirklich ratlos. Was macht man, wenn Kinder als Denunzianten auftreten?
Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.