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Die Rache der Wanderhure
«Was würdest du machen, wenn deine Tochter später als Prostituierte arbeitet?!»
Ich bin mir nicht sicher, ob allen Eltern diese Frage so oft gestellt wird wie mir. Im privaten Kreis, in Interviews, auf Podiumsdiskussionen – die Tatsache, dass ich offen feministische Positionen vertrete und nicht einmal davor zurückgeschreckt bin, mir aus Solidarität zu meinem älteren Sohn einen Rock anzuziehen, zieht regelmässig diese spezielle Frage nach sich. Ganz besonders scheinen sich Menschen dazu bemüssigt zu fühlen, sie zu formulieren, wenn ich durchblicken lasse, dass Feminismus meiner Meinung nach Sexarbeiterinnen inkludieren und deren Rechte vertreten sollte, anstatt sie zu bevormunden. Spätestens dann kommt die Frage nach der künftigen Berufslaufbahn meiner Tochter. Weil man so eine Meinung ja sowieso nur theoretisch vertreten kann, aber nicht wenn es um das eigene Fleisch und Blut geht. Ich nenne diese Vorgehensweise nach einem älteren Sat1 Film gerne «Die Rache der Wanderhure».
Mit der Prostitution verhält sich die Sache aus meiner Sicht folgendermassen: Entweder ist sie im Kern sexistisch und menschenverachtend und sollte verboten werden, weil sie die Gesellschaft sexistisch und menschenverachtend macht. Oder die Gesellschaft ist im Kern sexistisch und menschenverachtend und formt mit diesen Inhalten die Prostitution. Dann müsste die Gesellschaft verändert werden. Das Problem ist, das beides stimmt. Und zwar gleichzeitig. Zwangsprostituierte werden vor diesem Hintergrund gegen Frauen ausgespielt, die ihr Recht auf selbstbestimmte Sexarbeit wahrnehmen wollen, und andersherum. Wir haben uns zu entscheiden zwischen «Man muss diese Frauen schützen – notfalls auch vor sich selbst!» und «Wie jetzt: Mein Bauch soll mir gehören (Recht auf Abtreibung), aber meine Reproduktionsorgane nicht?!»
Und mitten drin soll ich sagen, wie ich mir das für meine Tochter gedacht habe. Warum eigentlich? Was würde das beweisen? Aber nun gut. Ich wünsche mir für meine Tochter ein glückliches, selbstbestimmtes, erfülltes, Leben. Welchen Beruf sie dafür wählt, ist ihre Entscheidung, nicht meine. Es ist nicht ihre Aufgabe, meine Karrierewünsche zu erfüllen. Würde ich ihr einen risikoarmen Beruf wünschen, wo sie gesellschaftliche Anerkennung statt Abwertung und Bigotterie erfährt? Selbstverständlich! Ist Prostitution ein solches Berufsfeld? Ganz sicher nicht.
Das mit der Bigotterie weisen übrigens immer alle ganz weit von sich. Stimmt ja gar nicht. Würden sie nie machen! Bis ich sie darauf hinweise, dass sie mich noch nie gefragt haben, was ich täte, wenn meine Söhne später Freier werden würden. Das finden sie dann auch merkwürdig.
Immerhin.
Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.