Lebensabschnitte / Brauch
Rituale
Die Braut trägt Weiss, der Schleier weht. Mit dabei: something old, something new, something borrowed, something blue. Das bringt Glück und hat Tradition. Es gibt ein Liebeslied, eine Kapelle, einen Bräutigam im Anzug, Blumenmädchen und diese Frage des Mannes hinter dem Altar: «Willst du, Stephan Schwarz, die hier anwesende Nadja Bartuska lieben und ehren, bis dass die Umstände des Lebens euch trennen, dann antworte mit ja.» Er: ja, sie: ja. Kuss. Romantisch, klassisch – Mo-ment! Bis das die Umstände des Lebens euch trennen? «Das mit dem Tod klang uns zu theatralisch», lacht Nadja Bartuska-Schwarz, die Braut, und stoppt kurz das zwei Jahre alte Hochzeitsvideo, bevor Tanz, Torte und Söhnchen Noah, wie er sich vor den Altar legt, kommen.
«Nur Standesamt, das war uns zu trocken. Romantik ist wichtig. Aber zur Kirche haben wir keinen Draht, darum haben wir uns für eine nicht-religiöse Hochzeitszeremonie entschieden, die wir genau auf uns zugeschnitten haben.» Deshalb ist die Kapelle, die tatsächlich Sissi-Kapelle heisst, eine Ex-Kapelle – ein entweihtes und heute anzumietendes Kirchlein oberhalb von Wien – und der Pfarrer ist kein Pfarrer, sondern David Bröckelmann aus Basel. Hauptberuflich Schauspieler und ausserdem ein Freund des Brautpaares aus Ettingen (BL). Mit der Einstellung: Gott nein, Zeremonie ja, liegen Nadja und Stephan Schwarz voll im Trend.
Variierte Tradition
5 710 000 Ergebnisse spuckt Google beim Stichwort «Rituale» aus. 1700 bei «Ritualgestalter ». Seit 2009 wird in Grasswil (BE) eine Ausbildung zu einem solchen Beruf angeboten. Sechs Jahre später hat sich deren Absolventenzahl verdoppelt. In Bubikon gibt es eine «Fachschule für Ritualgestaltung ». Unter www.zeremonienleiter.ch bieten über 500 Theologen, PR-Berater, Sozialarbeiter und Kreative aller Art ihre Dienste für die besonderen Momente im Leben an. Tendenz der Anbieterzahl: steigend.
Nur – wie kommts, dass gerade bei jungen Leuten und besonders bei jungen Leuten, die zur Familie werden, die Liebe zu Tradition und Brauch, zu Zeremonie und fester Form wieder aufploppt? Bis vor wenigen Jahren galt – wohl als Nachwehe der 68er-Parole «Unter den Talaren, der Muff von 1000 Jahren» – Ritualisiertes als reaktionär. Bräuche als Gesamtpaket waren kontaminiert: durch Erfahrungen mit martialischen Sitten studentischer Verbindungen, unheiligen Massenaufmärschen im Gleichschritt und öffentlich gewordener Ekel-Exzesse bei Aufnahme-Ritualen an Elite-Bildungseinrichtungen in Amerika, Holland oder Frankreich. Auch ein paar Nummern kleiner haftete dem Ritual jahrelang etwas Stickiges an. Das traditionelle Fondue bourguignonne zu Weihnachten – bäh, kleinbürgerlich. Weg damit. Falafel stattdessen wär doch mal was. Sonntagskleidung – tragen nur alte Leute. Tanzschule samt Abschlussball – ja, wie spiessig ist das denn? Und wer als Reaktion keine simulierten Würgegeräusche hören wollte, verkniff sich besser den Satz: «Das gehört sich einfach, das haben wir schon immer so gemacht. » Der Ruch, bünzlig und bigott, muffig und moralisch, steif und starr zu sein, haftete bis vor kurzem an den Ritualen wie das Pech an der Marie.
Nicht immer zu Unrecht. Formen ohne Inhalt sind hohl. Doch wohin jetzt mit dem Inhalt, wenn keine passende Form mehr da ist?
64 Prozent der Schweizer stehen heute der Kirche distanziert gegenüber, wie eine Studie des Religionssoziologen Jörg Stolz von der Universität Lausanne zeigt, lediglich 20 Prozent der Paare lassen sich in der Kirche trauen, weniger als jedes zweite Baby wird noch dort getauft. Doch auch wenn offenbar die religiösen Bräuche der grossen Konfessionen einen wachsenden Teil der Leute nicht mehr hinterm Ofen hervorlocken – irgendetwas ist da im Menschen und irgendetwas war da immer, was ihn dazu bringt, Übergänge, Umbrüche, Besonderheiten im Lebensverlauf auf eine den Alltag übersteigende Art zu begehen. Der aussergewöhnlichen Schnittstelle eine aussergewöhnliche Struktur geben zu wollen. Spätestens beginnt die Suche nach einer Struktur, wenn aus Zweien Familie wird. «Eltern stehen immer vor der Frage: Was will ich meinem Kind an Werten vermitteln und zu welcher Gemeinschaft, die diese Werte trägt, soll es gehören», sagt Jörg Stolz. «Und egal, wie nüchtern und rational ein Vater oder eine Mutter ist – mit den Fragen nach der Vermittlung von Werten und Zugehörigkeiten kommt auch zwingend die Frage, wie man die signalisiert: ob mit Orgel oder Phil Collins, ob mit einer Rede zum ewigen Leben oder einer zum Naturkreislauf.»
Seit Jahrtausenden schon
11 500 Jahre alt – 7000 Jahre älter als die Pyramiden – ist der mit fünf Meter hohen Stelen umstellte Ritualplatz Göbekli Tepe im Südosten der Türkei, den deutsche Archäologen vor ein paar Jahren freilegten. Was genau dort gefeiert wurde, ist unklar. Die Forscher vermuten, dass an der Kultstätte Schutzgeister angebetet wurden, Tote ins Jenseits geleitet und – Bier gebraut wurde.
Feiern, Solidarität, starke Emotionen und ja, häufig auch Rausch, sind offenbar, seit es Menschen gibt, verbunden mit den wichtigsten «rites de passage»: den zelebrierten heiklen Häutungen im Leben, mit denen eine Phase endet, etwas Neues mit neuer Gruppenzugehörigkeit beginnt. Unsicherheit inklusive. Zeremonien zu Geburt, Hochzeit, Erwachsenwerden, Tod – überall auf der Welt gibt es die, wenn auch von unterschiedlich starker Dramatik.
Will etwa beim nepalesischen Bergvolk Kham Magar ein junger Mann in den Kreis der erwachsenen Schamanen aufgenommen werden, muss er vor dem ganzen Dorf mit einem Widder kämpfen, dem Tier das Maul aufreissen und in die Widderzunge beissen. Danach hackt ein anderer Mann
dem vermutlich verwirrten Tier den Kopf ab, schneidet das Herz heraus und der angehende Schamane klettert samt noch warmem Widderherz auf einen hohen Pfahl. Stossen ihn nun böse Mächte herunter, ist er zuweilen tot, mindestens aber kein künftiger Schamane; bleibt er oben sitzen, wird er in die elitäre Berufsgruppe der Schamanen aufgenommen und als angesehenes Mitglied der Gemeinschaft willkommen geheissen.
Willkommen, Kinder!
6830 Kilometer entfernt läuft an diesem Frühlingssonntag ein etwas sanfteres Willkommensritual ab: das «Fest zum Lebensbeginn » für 20 Babys des bunten Zürcher Stadtteils Kreis 4 auf dem Labyrinthplatz. Ein duftender öffentlicher Garten aus Flieder und Iris, Mohn, Margeriten und Rosen liefert die Kulisse. In der Mitte wartet Regula Farner (53), Musikerin, Ritualgestalterin und eine der Hobby-Gärtnerinnen des Labyrinths mit einem orangenen Tuch um die Schultern und einer Blüte hinterm Ohr: «Jeder Neuankömmling sollte ein bisschen feierlich begrüsst werden, damit er sich willkommen fühlt», sagt sie. «Herkunft und Religion sind völlig gleichgültig.»
Und deshalb sitzen an diesem heissen Frühlingstag die Eltern der acht Wochen alten Rojen, Aleviten aus der Türkei, gemeinsam im Kreis mit Sarah und Patrick aus Zürich, die ihr vier Monate altes Töchterchen Mira dort quasi-taufen, mit einer allein erziehenden Deutschen mit halbbrasilianischer Tochter und hocken Papas mit Rastalocken neben Papas mit Glatze. Schweizerdeutsch hier, Portugiesisch dort … Allen gemeinsam: Der Wunsch, dass dieses Kind da in ihrem Arm glücklich heranwachsen möge, bitte. Zum Klang der indianischen Flöte gehen die Familien durch die Schleifen des Labyrinths. Voran die Grosseltern, danach Eltern und Kinder. Wie das im Leben so ist. Anschliessend wird jedes Kind aufgerufen und auf eine blaue Krabbeldecke gelegt. «Willkommen Rojen», «Willkommen Mira», Regula Farner spielt auf der Flöte, trommelt oder singt – für jeden eine eigene kleine Melodie. Zum Schluss gibt es ein Tütchen mit Blumensamen als Geschenk, ein Wimpelchen mit dem Namen des Kindes und guten Wünschen, das in den Zweigen aufgehängt wird, und ein Picknick mit Apfelsaft, Mini- Bananen, Reiswaffeln und Keksen.
Warum eine solche Form der Taufe? Die Gründe der Eltern sind unterschiedlich wie deren Alltag. «Weil wir keine Familie in der Schweiz haben und Rojen trotzdem ehren wollten», sagen die alevitischen Eltern. «Eine traditionelle Taufe ohne Vater wäre eigenartig gewesen», sagt die Alleinerziehende, «Wir haben das Begrüssungsfest schon mit unserem Sohn gefeiert», erzählt Patrick, Miras Vater. «Menschen machen so etwas seit Jahrtausenden, ich finde das schön. Auch ohne Kirche. Wir überlegen schon jetzt, was wir in ein paar Jahren für unseren Grossen machen könnten, wenn er vom Kind zum Erwachsenen wird. Etwas anstelle der Konfirmation.»
Das wird schwierig.
«Um Gottes Willen, schicken Sie ihn bloss mit seinen ganzen anderen Kollegen zur Konf», sagt Gisula Tscharner aus Feldis dann schon mal, wenn Eltern zu ihr kommen und ihren 15-Jährigen zwar mit einer Zeremonie, aber ungern kirchlich ins Erwachsenenalter entlassen wollen. «Meist sind die Eltern erst mal platt», sagt die freie Theologin lachend. Aber Rituale, findet sie, sollten für etwas Bedeutsames einen exakt passenden Rahmen stellen. Etwa 1000 Mal hat die 67-Jährige inzwischen für den gesorgt. Einen Picasso pinnt man schliesslich auch nicht mit Reissnägeln an die Wand oder schnipselt ein bisschen ab, damit er sich in ein Ikea-Rähmchen würgen lässt. Und Jugendrituale seien nun mal, sorry, überall auf der Welt Kollektivrituale.
«Welcher Pubertierende tanzt schon gerne aus der Reihe und will so ausgestellt werden – keiner. Und allein auf Elternwunsch? Im Teenie-Alter? Nein.» Die Bündnerin ist da offen, auch ihr Tarif zwischen 900 und 1400 Franken, je nach Aufwand und Fest, ist kein Geheimnis. Wenn der Jugendliche es allerdings selbst wolle, vielleicht noch ein Freund mitmache und wenn man gemeinsam etwas ausgetüftelt habe, wie er beispielsweise gemeinsam mit Gotte und Götti ein kleines Abenteuer wie Abtauchen in die strömende Aare überstehe und dann allein, jetzt auf eigenen Füssen stehend, wieder zurückkehre, dann, ja, dann mache sie das gern, denn das Ganze ergebe Sinn. Aber ansonsten – eher Fehlanzeige. «Im Mittelpunkt steht schliesslich die Hauptperson, für die muss es stimmen.»
Und weil es in der Pubertät eben an allen Ecken und Enden zwackt, alles nicht so recht stimmig ist, haben es offizielle Jugendrituale – sogar in der Gruppe – generell schwer. Die säkulare Jugendweihe in der ehemaligen DDR war stets eher Zwangsveranstaltung als Fest, die Schweizer Jungbürgerfeier zur Volljährigkeit stirbt mangels Nachfrage eines stillen Todes. Einzig die Konfirmation überlebt. Nur – ist es nicht verlogen, wenn die Geschenke im Zentrum stehen, das Kleid, das Essen und Gott nur als Zaungast dabei ist? Ist das nicht Rosinenpickerei? Darf man das?
Trennung, in Form gebracht
«Ach, wissen Sie, ich sehe das nicht so eng», sagt Andrea Marco Bianca, reformierter Pfarrer in Küssnacht. «Schon in der Bibel steht: Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat.» Der 54-Jährige lächelt nachsichtig. «Ich finde, die Kirche sollte die Realität sehen, das, was ihre Mitglieder wünschen und brauchen und dafür etwas anbieten.»
Ein bisschen mehr so-ist-es, ein bisschen weniger so-sollte-es-aber-idealerweise- sein. Deshalb ist das Thema seiner Doktorarbeit, die jetzt frisch gebunden und 1000 Seiten dick vor ihm liegt, auch keine Interpretation irgendeiner Bibelstelle, sondern sein Thema lautet «Scheidungsrituale ». Die Diskussion, wie die Kirche zu Scheidungen stehen sollte, ist für Andrea Bianca eine rein akademische: Ob das Markusevangelium gilt mit seinem «Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen» oder ob man Matthäus bemühen darf, der schreibt, dass bei sexuellem Fehlverhalten eine Trennung erlaubt sei, oder doch eher Paulus, der eine Auflösung der Ehe für akzeptabel hält, wenn die Partner einen unterschiedlichen Glauben haben. Fakt ist: 50 Prozent der Ehen werden geschieden, in Basel-Stadt über 60. Und zu jeder dieser Scheidungen gehört Trauer, gehört Wut, gehören Schuldgefühle, gehören oft Kinder und Verantwortlichkeiten, die neu verteilt werden müssen. «Das sind originär seelsorgliche Probleme », findet der Pfarrer und ist sich durch das Ergebnis seiner Forschungen sicher: «Rituale können hier Halt geben, sorgen ausser für einen würdigen Beginn auch für ein würdiges Ende und helfen den Betroffenen, gefühlsmässig mit etwas abzuschliessen. »
Varianten dafür gibt es viele: Auf Java schneidet ein Priester schlicht die Eheschnur durch. Beim japanischen Zeremonienleiter «Terai» trifft sich das trennungswillige Pärchen und zertrümmert gemeinsam die Eheringe. Erledigt wird das mit einem Hammer, dessen Kopf einen Frosch darstellt, das Symbol für Wiedergeburt. Auf der indonesischen Insel Buru wird die Ehe nicht nur aufgelöst, sondern anschliessend wird ein üppiges Fest mit beiden Familien gefeiert, damit zumindest die sich künftig nicht spinnefeind sind.
So eitel Minne muss es nach Andrea Biancas Vorstellungen gar nicht unbedingt ablaufen. «Aber es ist doch heilsam – wie ich das von einem Paar gehört habe – wenn die beiden sich noch mal treffen, einander die Hand geben, sich gegenseitig verzeihen, vielleicht das Hochzeitsfoto verbrennen und vor den Kindern geloben, wenn auch kein Liebespaar, so doch Elternpaar zu bleiben und nicht ständig zu zanken. Ich denke, das hilft.» Einem «Papi, du hast es aber doch versprochen, dass ihr nicht mehr streitet», kann man sich schwer entziehen. Und was ist, wenn das Verhältnis ein anderes ist? Hass, Groll, Wut und Verletzung jede Gemeinsamkeit torpedieren? «Wenn einem danach ist, nutzt es auch schon, ein kleines Abschieds-Ritual für sich allein oder mit einem Begleiter durchzuführen.»
Orientierung in der Trauer
Emotionen eine Form zu geben, sie einzudeichen, schützt davor, von den Gefühlen überflutet zu werden. Glück, Liebe, Leidenschaft – okay, die dürfen manchmal fluten. Aber Verzweiflung? Entsetzen? Trauer? Besser nicht. Wer schwankt, braucht ein Korsett, das stützt, klare Leitplanken zur Orientierung.
78 Prozent der Schweizer lassen sich nach wie vor kirchlich beerdigen. Die festen Formeln geben Sicherheit. Bitte keine Überraschungen bei höchster Verletzlichkeit. Bloss jetzt keine Experimente. Eine Abdankungsrede zusammengestrickt aus all dem Kram, der bei Weltbild auf dem Geschenkbuchtisch liegt? Eine Prise «Kleiner Prinz», ein Händchen Khalil Gibran, Kant, Goethe, Konfuzius einmal geschüttelt und gerührt?
Nein, danke. Zum Tod Bewährtes.
Aber möglichst nicht nur.
Aline Kramer füllt für Niklas (9), Matti (4) und den Gast Pasta auf Teller. Am Kopfende des hellen Esstischs ist ein Brandloch. «Das ist noch von vor ein paar Monaten, von der Wunderkerze auf Finns Geburtstagskuchen», erklärt Niklas bereitwillig. Finn, das ist der Bruder. Geboren und gestorben am 21. 12. 2008. Sechseinhalbter Monat, zu leicht, zu klein, zu durchsichtig, gerade kräftig genug für zwei Stunden Atmen. Dunkler kann es im Leben einer Mutter nicht werden. Deshalb machen die Kramers es seitdem in ihrem Winterthurer Garten hell. Ständig brennt dort eine Laterne. Und jedes Jahr wird Finns Geburtstag gefeiert. Mit Kuchen, mit Wunderkerze drauf, mit Steigenlassen einer Himmelslaterne, die die Jungs extra bemalen. «Klingt das eigenartig?», fragt Aline Kramer (40). «Aber für mich war und ist die grösste Angst, dass Finn vergessen geht.»
Erinnern, daran denken, darüber reden können … Die Primarlehrerin braucht das. Zu gerne schweigen die Leute, wenn sie hören, was passiert ist, zu oft wechseln sie eilig das Thema, zu oft kommen Floskeln, wo Gespräche gut wären. Die Kramers leuchten dagegen an. In diesem Jahr haben sie an Finns Geburtstag zudem gemeinsam mehrere Dutzend weisse Kerzen im Garten angezündet. Traurig. Und schön.
Gemeinsam – das hilft
Neurowissenschaftler, wie Hannah Moyer von der Universität Heidelberg, haben sogar eine Erklärung für die positive Wirkung gemeinsamer Zeremonien: Bei zusammen ausgeführten Bewegungen, gemeinsamem Gesang oder regelmässig wiederkehrenden Abläufen wird das limbische System angeregt: Der Körper schüttet Glückshormone aus. Manchmal ist das nur netter Nebeneffekt wie beim abendlichen Schlaflied.
Und manchmal sind diese Glückshormone so was von verdammt nötig, einfach um weitermachen machen zu können. «Urnenwahl, Todesanzeigen, Beerdigung – die ganze formale Organisiererei hat mich nur eine kleine Weile über Wasser gehalten», sagt Aline Kramer. «Aber letztlich sind auf dem Friedhof nur Finns Knochen. Wir brauchten etwas anderes.» Kerzen, Licht, etwas, das aufsteigt wie die Himmelslaternen oder bunte Ballons. Die 40-Jährige ist der geerdete Typ; Esoterisches und Sentimentales sind nun gar nicht ihr Ding. «Aber ich will mich erinnern.» Und erinnern geht nun mal in Bildern. Symbole machen Abstraktes real. Auch für die beiden Buben. Ja, da war ein Bruder. Und jetzt ist er an einem anderen Ort. Über Kuchen hätte er sich bestimmt gefreut, vor allem wenn obendrauf die obligatorische Wunderkerze ordentlich zischt und funkt und glüht. Selbst wenns manchmal Brandlöcher im Tisch gibt, die bei jeder Mahlzeit verlässlich mit dabei sind.
Auch beim nächsten Geburtstagskuchen- Essen. Und an dem drauf. Wie jedes Jahr. Wie immer. Wie tröstlich.