Erziehung / Religion
Islam
Den Ramadan halten die Hodzics so gut es geht ein. Auch wenns mit kleinen Kindern schwierig ist.
Erziehung / Religion
Von Text: Caren Battaglia / Fotos: Florian Kalotay
Den Ramadan halten die Hodzics so gut es geht ein. Auch wenns mit kleinen Kindern schwierig ist.
Manchmal sagen Leute zu mir: ‹Ach, du bist eine Muslima? Hätte ich nicht gedacht, du wirkst gar nicht so …›. Sie meinen das nett. Aber eigentlich ist es ein zweischneidiges Lob, wenn man dafür gelobt wird, dass man gar nicht so wirkt wie das, was man tatsächlich ist. Ich bin gläubige Muslimin. Unserer ganzen Familie bedeutetder Glaube viel. Das heisst aber nicht, dass wir den Klischees entsprechen, die momentan in den Köpfen herumspuken.
Wenn ich sage, dass unsere Religion der Islam ist, dann schrecken derzeit die Menschen kurz zurück. Ganz so, als ob wir gleich eine Bombe unter unserer Jacke hervorzögen oder so etwas. Wenn ich Fernsehen schaue, werde ich meist traurig. Oder wütend. Es ist schlimm, dass der Islam im Augenblick gleichgesetzt wird mit Terrorismus. Die Menschen, die Attentate verüben, sind für mich Verbrecher. Punkt. Mit unserem Glauben hat das in meinen Augen gar nichts zu tun. Unser Gott will so etwas nicht. Ich bin Pharma- Assistentin, mein Mann ist Maschinist. Wir leben in Zürich und fühlen uns hier zu Hause. Ich lebe seit 25 Jahren in der Schweiz, ich habe auch den Schweizer Pass. Mit vier bin ich mit meinen Eltern aus Bosnien geflohen. Wir sind Muslime, aber ich verschleiere mich nicht und ziehe auch im Sommer Röckchen an, wenns heiss ist. Es gibt sehr viele Strömungen im Islam, die darf man nicht alle über einen Kamm scheren. Wir sehen unseren Glauben nicht dogmatisch, wir trinken beispielsweise ab und an ein Glas Wein, unsere Kinder haben keine muslimischen Vornamen. Und einen Weihnachtsbaum stellen wir auch auf, weil ich den so hübsch finde und es mag, den Kindern etwas zu schenken. Trotzdem ist unser eigener Glaube in unserem Alltag und unserer Erziehung präsent. Ich würde beispielsweise Kevin niemals erlauben, sein geliebtes Nutella- Brot mit ins Bad zu nehmen. Das wäre des Brotes nicht würdig. Wir ehren das Brot, das wir haben. Deshalb werfen wir nicht mal die übrig gebliebenen Krümel in den Abfluss. Brot und Kanalisation – da würde man sein Glück, Brot zum Essen zu haben, nicht hoch genug schätzen. Wir füttern die Reste den Enten. Sauberkeit ist Muslimen sehr wichtig, das passt prima zur Schweiz. Dass man sich vor dem Essen die Hände wäscht und so. Ich finde es auch gut, dass Fluchen bei uns etwas Schlimmes ist. Es ist doch wichtig, respektvoll miteinander umzugehen. Den Ramadan halten wir so gut es geht ein. Manchmal klappt das nicht perfekt. Bei zwei kleinen Kindern ist das schwer. Ich kann es nicht genau erklären, aber dieser Monat hat etwas Heiliges. Alles wird besonders, stiller. Ich habe in dieser Zeit noch nie mit meinem Mann gestritten oder mit den Kindern geschimpft. Keine Ahnung warum. Ob die Religion die Erziehung beeinflusst? Ja. Für uns Muslime ist Gastfreundschaft ein extrem hoher Wert. Sehen Sie, ich hab ja selbst jetzt Kaffee und Schokolade serviert. Geiz ist schlecht angesehen. Wir sind auch vom Koran her verpflichtet, zu teilen. Ich wundere mich manchmal hier auf den Spielplätzen, wie die anderen Mütter darauf achten, dass ihr Kind im Sandkasten ja bloss sein eigenes Schäufelchen hat. Sie nehmen sogar das ganze Kind samt Schaufel und tragen es an die andere Ecke des Sandkastens, nur damit es nicht teilen muss. Für muslimische Mütter wäre das undenkbar. Kinder müssen unbedingt lernen, grosszügig zu sein.
Kevin wird manchmal wütend, wenn Melina seine Legosteine klaut. Aber ich sage ihm dann, dass er teilen muss und sich daran gewöhnen, dass sie auch mit seinen Sachen spielen darf. Ich erziehe ihn ohnehin ein wenig Richtung Gentleman. Ich weiss, hier wird das oft anders dargestellt, aber muslimische Männer sind Frauen gegenüber sehr zuvorkommend. Hier wird es immer nur so dargestellt, als hätte die Frau absolut nichts zu melden. Ich habe allerdings sehr viel Respekt Frauen und Kindern gegenüber erlebt. Gehe ich in der Schweiz mit meinem Kinderwagen in eine Bank und es hat sich dort eine Schlange am Schalter gebildet, dann muss ich hinten anstehen, da kann das Kind quengeln, wie es will. In Bosnien würde man in den meisten Fällen nach vorne gerufen: ‹Kommen Sie, Sie haben doch ein Kind.› Wo ich mich auch in der Erziehung eher an den islamischen Werten orientiere, ist generell beim Zielesetzen. Wie soll ich sagen – hier gilt ‹you can get it, if you really want›. Das macht nur verkniffen. Die Wahrheit ist doch: Je stärker man etwas will, desto verhexter ist es oft. Im Islam schätzt man geduldiges Gottvertrauen und sich nicht zu sehr in etwas zu verbeissen. Das finde ich entspannter. Glaube gibt uns Sicherheit. Kevin hatte mal eine schwere Lungenentzündung. Wir haben jeden Tag gebetet. Es ist tröstend, das Gefühl zu haben, man ist nicht allein. Was ich täte, wenn meine Kinder sich später vom Glauben abwenden würden und jemanden einer anderen Religion heirateten? Nichts. Dann wäre das halt so. Aber es wäre natürlich viel einfacher, wenn sie muslimisch heirateten, dann könnte man die Feste besser zusammen feiern. Das wär schön.»
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