Gleichstellung
Gleichberechtigung im Familienalltag
Eine gleichberechtigte Beziehung? Ja gerne. Aber so einfach ist das nicht. Über die Mühen, gegen alte Mühlen anzukämpfen.
«Wann seid ihr endlich mal fertig mit diesem Gleichberechtigungs-geschwätz?», fragte mein Sohn meinen Mann und mich letztens. «Nie!», entgegnete ich. Und er rollte mit den Augen. Ich kann ihn ja verstehen – so hatte ich mir das auch nicht vorgestellt mit der Emanzipation und dem trauten Familienglück.
Dabei hatte alles mit einer schönen Idee begonnen: Ich brachte einen Sohn in die Beziehung mit, jetzt wollten wir auch noch gemeinsame Kinder und dann zu gleichen Teilen für Haushalt, Einkommen und Erziehung zuständig sein. Gleichberechtigung in der Liebesbeziehung war für uns bereits selbstverständlich, jetzt musste auch ein gleichberechtigtes Patchwork-Familienmodell her.
Knapp sechs Jahre ist es her, als unsere Tochter zur Welt kam und damit das Familienglück komplett machte. Die fehlende Elternzeit, die Hormonumstellung und der Schlafentzug erschwerten jedoch meinen Wiedereinstieg in den Job und machten uns erst einmal einen Strich durch die angestrebte Gleichberechtigungs-Rechnung. Das kostete nicht nur viel Energie, sondern führte uns direkt in die erste Beziehungskrise als Eltern.
Alle Arbeiten aufteilen, geht das?
Die Rettung kam zwei Jahre später mit meinem neuen Teilzeit-Job – seither arbeiten wir zu fast gleichen Teilen und splitten die Kinderbetreuung. Die Vorteile: Unsere Beziehung ist ausgeglichener. Wir haben beide Zeit für unsere Kinder und können unserer erfüllenden Arbeit nachgehen. Wir sind finanziell voneinander unabhängig und kämen auch bei einer Trennung ohne Alimente über die Runden. Wir sind nicht auf eine Arbeitgeberin angewiesen und gehen damit weniger finanzielle Risiken ein– ausserdem leben wir das, wofür wir auch politisch einstehen: Gleichstellung und Gleichberechtigung für Mann und Frau.
Alles Friede, Freude, Eierkuchen also? Keinesfalls. Wir bezahlen teure Hortplätze, höhere Steuern, brauchen eine Putzhilfe und kompensieren den Stress nicht selten mit Take-Away-Essen und feudalen Ferien (alles andere ist zu wenig erholsam). Ständig sind wir müde bis erschöpft. Aufgaben gilt es immer und immer wieder zu verhandeln.
Wir diskutieren und streiten über Gleichberechtigung, von der Verteilung von Mental Load bis hin zum richtigen Zyklus des Bettwäschewechselns und spielen dazu Feuerwehr – denn mal ehrlich, es brennt immer irgendwo. Wir retten uns von der Magen-Darm-Grippe zum nächsten Pseudokrupp, mein Mann hilft spätabends dem Sohn bei den Bewerbungen auf eine Lehrstelle, währenddessen ich das aufarbeite, was ich tagsüber nicht geschafft habe. Über Mittag kaufe ich das Nachtessen und merke dann noch: Oh Mist, die Oma hätte auch noch Geburtstag gehabt. Das Fazit ist einfach: Alles aufteilen bedeutet auch mehr Baustellen.
Studien besagen, Mütter, die arbeiten, sind glücklicher. Väter, die mehr in der Kinderbetreuung übernehmen, haben eine stärkere Bindung zu ihren Kindern. Andere Statistiken wiederum belegen: Berufstätige Mütter übernehmen mehr im Haushalt als die Väter und sind mehr von Burn-outs betroffen.
Die Wissenschaft bestätigt damit meine eigene Ambivalenz: Die Tochter ist fiebrig und ich eile an eine Sitzung, es ist Besuchsmorgen und ich kann nicht teilnehmen. Auch wenn ich weiss, mein Mann ist da und es besteht daher kein Grund: Mich plagt das schlechte Gewissen. Auch wenn ich einen tollen Job habe: Arbeite ich bis in den Abend, vermisse ich die Kinder. Bin ich mit den Kindern zu Hause, denke ich an die Pendenzen im Geschäft. Obwohl ich progressiv erzogen wurde, bin ich geprägt vom Bild der Mutter als eierlegende Wollmilchsau. Und das vierteilt mich manchmal fast.
Traditionell wäre einfacher
Ich bin überzeugt: Es wäre weniger anstrengend, hätten wir uns für das traditionelle Rollenmodell entschieden. Denn nicht nur die Organisation unseres Alltags frisst Kraft, es kostet auch Energie, Pionierarbeit zu leisten in einer Gesellschaft, die immer noch nicht bereit ist, Männern und Frauen die gleichen Kompetenzen zuzuschreiben.
Mein Mann wird konsequent als mein Haushalt-Zuarbeiter gesehen und nicht als ernstzunehmender Familienmann. Immer wieder muss ich mich für mein Arbeitspensum rechtfertigen, auf dem Spielplatz und in der Arbeitswelt. Mein Scheitern als berufstätige Frau würde von einigen mit «ich hab doch immer gesagt, ihr könnt halt nicht alles haben» gefeiert. Ich bin permanent in der Beweispflicht, eine gute Mutter zu sein. Meine Kinder haben eine Grippe oder Fieber? «Vielleicht ist es ein Hilfeschrei», hörte ich nicht nur einmal.
Als Familie schwimmen wir mit unserem Modell gegen den Strom. Das spüre ich auch in der Schule: Noch immer wenden sich die meisten Lehrpersonen an mich, wenn eine Frage auftaucht oder ein Gespräch ansteht.
Auch unsere Erziehung ist die reinste Sisyphusarbeit! Wir predigen zu Hause, Frauen seien keine Trophäen und nicht alleine für den Haushalt zuständig und spazieren danach an Plakatwänden mit perfekten Mädchen in Unterwäsche vorbei oder an zufrieden lächelnden Mamis vor der Waschmaschine. Kein Wunder spielt meine Tochter am liebsten mit Puppen und dem Kochherd, will sich schminken und liebt Glitzer, obwohl wir ihr vorleben, dass auch Männer kochen, Windeln wechseln und Frauen Geld verdienen können.
Aus der Peergroup unseres Sohns klingt es zudem wie 1975 in der Bronx. Jungs, die sie nerven, nennen sie «schwul», Frauen, die ihnen kompliziert erscheinen «schwanger», Mädchen, die sich lauthals wehren «Gören». Er und seine Freunde beschimpfen sich untereinander als «Hurensohn» und «Motherfucker», und dass ein Junge ein Mädchen beim ersten Date nicht zwangsweise einladen muss, ist in seinen Kreisen alles andere als selbstverständlich.
Nachsicht üben
Ein egalitäres Familienleben aufzubauen, heisst auch: sich von diesen alten Mustern lösen, Rollen neu verteilen, sein Verhalten analysieren und Prioritäten setzen. Dazu sind nicht nur Diskussionen beim Abendessen, Kraft und Geduld in der Arbeitswelt, sondern auch Nachsicht mit sich selbst, dem Partner und den Kindern nötig. Dieses Modell führt einen selbst vor: Wo liegen meine Grenzen? Wie bin ich geprägt? Was will ich und was nicht und wo muss ich lernen, mehr loszulassen, weniger perfektionistisch zu sein?
Trotz all der Anstrengung ist dieser Drahtseilakt wohl eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Wir ebnen den Weg unserer Kinder – die hoffentlich mal über all das lachen können. Niemand hat mir versprochen, dass das alles einfach würde, dass sich die Welt innert ein paar Jahren ändert. In der Schweiz wurde das Frauenstimmrecht ein paar Jahre vor meiner Geburt eingeführt, nur knapp 10 Prozent der Männer arbeiten heute Teilzeit, nicht einmal 3 Prozent der CEOs sind weiblich und unser Modell leben hier nur die wenigsten Familien. So wandern wir eben ein wenig wie durch den Tiefschnee: Wer vorausgeht, hat die schwierigste Aufgabe.
Marah Rikli ist freie Autorin, Moderatorin, ehemalige Buchhändlerin und aktive Speakerin für Diversität und Inklusion. Sie lebt mit ihrer Patchworkfamilie in Zürich. Und lancierte kürzlich ihren eignen Podcast Podcast Sara & Marah im Gespräch mit…