Von Text: Caren Battaglia / Fotos: Florian Kalotay
Sünde? Gibts für Familie Gombosuren-Norov nicht.
Wie spricht man mit Menschen, die derart nett sind, dass man sich selbst dagegen fühlt, als sei man von Schwefeldampf umweht? Wie, bitte, interviewt man beinahe halb Erleuchtete? Denn mit jemandem über Familie, Glaube und Kindererziehung zu reden, ist gar nicht so einfach, wenn das Gegenüber Kulleraugen vor Verwunderung bekommt – soweit Kulleraugen bei mongolischen Mandelaugen möglich sind – auf die Frage: «Wenn die Kinder Sie hässig machen? Schreien Sie sie dann schon mal an?» Antwort: Neiiiiin. Ein sehr gedehntes befremdetes Nein. Begleitet von einem Blick, als habe man gefragt, ob sie die Kinder dann ins Bein bissen. «Nein. Anschreien? Warum? Wir Eltern sind Vorbild, die Kinder schauen ab», sagen Mashlai und Adiyabazar milde. Und denken sich vermutlich ihr Teil über die Journalistin.
Die Eltern ehren
Mashlai und Adiyabazar sind Buddhisten. Monglische Buddhisten, denn ähnlich wie Rosen, Stiefmütterchen und Tulpen alles «Blumen» sind, gibt es unzählige Strömungen und Facetten des Buddhismus. «Vielleicht verbindet uns alle, dass Freiwilligkeit für uns wichtig und Zwang abzulehnen ist», sagt Mashlai und blickt über den Tisch, um zu sehen, ob ihr Mann der gleichen Meinung ist. Ist er. Stille Harmonie. «Unser Glaube gibt uns Kraft, wir beten täglich. Wir bedanken uns», sagt Mashlai. Sie spricht besser Deutsch als er. Von den sechs Jahren, die sie in der Schweiz sind, war Adiyabazar lange im Krankenhaus, fünf Jahre Dialyse, Nierentransplantation. Ein Auge verloren durch die Nierenerkrankung, Monate furchtbarer Schmerzen, bislang ohne Arbeit wegen der Krankheit … Und ist dankbar. «Unsere Kinder beten auch. Mit vor der Brust gefalteten Händen. Sie machen es uns nach», lächelt Mashlai, die gerade die Aufnahmeprüfung zur Pflegefachkraft bestanden hat und auch dafür «sehr dankbar ist». «Das ist doch ein Geschenk Gottes», sagt sie. Ein Geschenk des Gottes Burhan bagsch, der zum Sternzeichen Schwein passt. Denn im Buddhismus, erklärt Adiyabazar, würde zusammen mit dem Stand der Sterne und im Gespräch mit «weisen Männern» abgeklärt, welcher Gott der passendste für die jeweilige Person oder Familie sei. Dann stelle man daheim ein Bild auf, oft auch eines vom Dalai Lama und immer eines von den Eltern – zumindest wenn sie verstorben sind. «Die Eltern zu ehren, ist uns wichtig», sagt Mashlai. Dieser Respekt, diese Achtung vor den Älteren wirke bis in die Erziehung. Schliesslich bewundere jedes Kind seine Eltern. Strafen? Überflüssig. «Gut, wenn sie Unsinn machen, etwa auf einem Ausflug, dann sagen wir: Wenn ihr nicht folgen wollt, dann gehen wir besser nach Hause.» Auch das Fernsehen würde schon mal abgeschaltet. Sofern es überhaupt je eingeschaltet wird. «Wir mögen das nicht so.» Einvernehmliches Nicken. Im Fernsehen gäbe es zu viel Gewalt, schlimme Wörter, Härte. «Der Buddhismus ist zum Glück keine harte Religion», erklärt Adiyabazar. Das Wort Sünde gibt es nicht. Tugend, nach der jeder Mensch streben soll, schon. Etwa indem man gut zu der Erde ist, auf der man lebt. Und wenn die Kinder mal nicht so gut sind? «Dann muss man es ihnen geduldig und ruhig sagen. Immer wieder.» Von der Interviewerin haben Mashlai und Adiyabazar offenbar inzwischen auch den Eindruck, man müsse ihr geduldig und immer wieder sagen, dass Milde und Ruhe tadellos funktionierten. «Ruhe ist in der Erziehung essenziell», betont Mashlai und Aliyabazar nickt. Sie selber sei in einer Jurte grossgeworden, sieben Personen in nur einem Raum. Doch trotzdem habe man sich stets um Ruhe bemüht. Denn sie und Gemeinsamkeit im Glauben – und sei es nur ein gemeinsames Gebet am Telefon mit den Eltern in der Mongolei – die trügen durchs Leben. «Sonst kann ein Kind ja auch nicht für die Schule lernen», finden die beiden. «Denn wir wünschen, dass unsere Kinder gut in der Schule sind, gesund bleiben und Menschen werden, die Gutes tun.» Was wäre, wenn ihre Söhne später keine Buddhisten mehr sein wollten, sondern keine oder eine andere Religion wählten? «Das dürfen sie,» betont Mashlai. «Jeder darf auf seine Art leben», nicken beide. «Wir haben auch einen Weihnachtsbaum. Weihnachten ist wunderbar – ruhig und friedlich.»
Zurück zum Übersichtsartikel [«Weltreligionen: Fünf Familien in der Schweiz schildern, wie sie ihren Glauben leben».] (/artikel/religion-0117 “/artikel/religion-0117“)