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Strafe muss sein
Letzte Woche ist es mir nach langer Zeit wieder einmal passiert, dass mir Erziehungsmethoden anderer Eltern vorgeführt wurden, die ich so einfach nicht akzeptieren oder auch nur nachvollziehen kann. Gewöhnlich halte ich Erziehung für ein weites Feld, in dem man sich, auch angesichts der Tatsache, dass man selbst die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen hat, mit Urteilen zurück halten sollte. Aber manchmal passieren Sachen, die diese Maxime ausser Kraft setzen. So will mir beispielsweise nicht in den Kopf, wieso man seinen Kindern etwas ankündigt, das man auf gar keinen Fall einlösen kann. «Wenn du nicht augenblicklich still bist, dreht der Pilot um.» ist so eine Ansage. Oder auch alle Versionen von «Dann geh ich eben ohne dich!». Was soll ein Kind daraus lernen?
In besagtem Fall schrie ein Elternpaar auf einen Jungen ein, der mit einem Einkaufswagen über den Parkplatz gerast war und dabei fast ein Auto gerammt hätte. Gut, war tatsächlich uncool von ihm. Aber die anschliessende Schimpftirade («Idiot, Wahnsinniger»), das Fragenbombardement, auf das er nicht antworten durfte, und die Drohungen («Warte, bis wir Zuhause sind!»), ging viel zu weit. Wieso glauben Eltern, so etwas tun zu dürfen oder sogar zu müssen? Ja, sie sind erziehungsberechtigt, ja, sie sind bis zu einem gewissen Punkt für das Benehmen ihrer Kinder verantwortlich. Und JA, Kinder bauen gelegentlich richtig Scheisse. Das machen allerdings alle Menschen hin und wieder. Und wir benehmen uns auch manchmal in einer Art und Weise, die anderen Menschen grundlos oder zu Recht peinlich ist. Aber wir würden auf gar keinen Fall hinnehmen, dass mit uns so umgegangen wird, wie es Kinder oft erleben müssen. Dass Eltern darauf bestehen, ihren Kindern gegenüber in jeder Situation die Erziehungsberechtigten raushängen zu lassen, mag ja noch angehen. Auch wenn mir das persönlich ein viel zu distanziertes Verhältnis zu meinen Kindern wäre, ist Erziehung, wie eingangs bemerkt, ein weites Feld. Wenn aber jede elterliche Entscheidung – egal wie absurd sie sein mag – grundsätzlich gewichtiger ist als jede kindliche, dann spiegelt das ein Machtgefälle wieder, das mit familiärer Verantwortung füreinander nichts mehr zu tun hat. Dann altersdiskriminieren wir unseren Nachwuchs und nennen es Kindheit. Oft sogar ohne es zu bemerken. In diesem Machtgefälle werden Fehler zu pathologischem Fehlverhalten verzerrt und haben als solches keine Konsequenzen, sondern werden bestraft.
Selbstverständlich ist es verführerisch, genau dieses Machtgefälle im Alltag mit Kindern herzustellen, damit man von der Höhe elterlicher Autorität handeln kann. Es scheint ein Leichtes, durch Bestrafungen die Ordnung wieder herzustellen. Wenn die Kleinen mal wieder nicht hören wollen. Wenn alles zu lange dauert, sie nerven, am Essen rumnölen, ein Ball ins Fenster werfen, fluchen, schreien und sich alles hinterher tragen lassen. Wenn sie mit einem Einkaufswagen fast ein Auto rammen. Es ist aber auch unfassbar respektlos ihnen gegenüber.
Wir verdienen nicht den Gehorsam unserer Kinder. Sie verdienen unseren Respekt.
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.