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Sommer mit Strandkrabbe
Über die Sommer an den Küsten Deutschlands kursieren ja anderswo die wildesten Gerüchte. Eisbären sollen schon gesichtet worden sein (Grossvater aus dem sonnenverwöhnten Heidelberg). Da muss man immer einen Pullover mit an den Strand nehmen (Oma aus Berlin, die diesen Tipp – jetzt wo ich so darüber nachdenke – wahrscheinlich immer geben würde, egal bei welchem Wetter). Ich brauche es im Sommer heiss, leider kann ich euch in den Ferien deshalb nicht besuchen kommen (Freundin aus dem noch viel sonnenverwöhnteren Freiburg).
Und ich muss gestehen, dass ich das Wetter im Norden selbst viel schlechter vermutet habe. Tatsächlich ist es besser als sein Ruf. Oft genug ziehen Schlechtwetterfronten einfach unter uns durch und wenn es draussen wirklich mal mies aussehen sollte, gibt es kaum jemand, der sich lang und breit darüber auslässt, wie furchtbar es doch sei, dass einen das Schicksal ausgerechnet so straft. Anfang April sind die ersten Kitesurfer im Wasser. Ob es da regnet oder nicht, ist ihnen genauso egal wie den Schaulustigen, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollen.
Aber in den letzten Jahren mussten die Küstenbewohner ihren legendären Gleichmut gar nicht so sehr unter Beweis stellen, denn das Wetter war über weite Strecken wirklich grossartig. Viel Sonne, viel Meer und viel Schadenfreude für den Grossvater aus Heidelberg und die Freundin aus Freiburg, die alle im Regen standen und sich, während wir hier oben die Sonnencreme auftrugen, gefragt haben, ob das vielleicht ein schlechter Witz sein soll. Man konnte die schönsten Strände in der Umgebung abklappern und beide Kinder auf eigene Faust herumtollen lassen und endlich mal ein Buch lesen, weil beide inzwischen wie die Weltmeister schwammen. Strandtuch und ein paar Kleinigkeiten haben gereicht. Badesachen, Trinken, Wassermelone, Buch, Strandtuch, Ball und fertig.
Diesen Sommer ist jedoch alles anders. Diesen Sommer haben wir eine neue kleine Strandkrabbe mit dabei, die die Dinge gehörig auf den Kopf stellen wird. Die Tage am Meer werden sich zäher hinziehen und man wird sich ein ums andere Mal fragen, ob es wirklich eine gute Idee war, mit Kind, Kegel und Theo an den Strand zu fahren. Ganz besonders, wenn einen auf dem Rückweg dann dieses Gefühl überkommt. Ihr wisst schon: Dieses Gefühl, dass man so ganz allmählich wegschwitzt, während die mehrfache Panade aus Sand und Salz immer mehr ausbackt und man mit letzter Kraft von einem Stück Schatten ins nächste huscht. Und natürlich kann man vor Krempel kaum noch laufen, den man mit 2 grossen Kindern und einer kleinen Strandkrabbe mitnehmen musste. Zahllose Handtücher, die immer, IMMER zu wenige sind. Strandmuschel, Buddelsachen, Bälle (einen zum Aufpusten, einen zum Werfen, einen zum Schiessen und einen für nur so), Strandtücher, Unmengen zu essen und noch mehr zu trinken. Sonnencreme und Badesachen. Wechselklamotten. Von dem Babykram mal ganz zu schweigen. Und wieso glaubt man auch beim dritten Kind eigentlich noch, man sollte vielleicht auch ein Buch einpacken… Ihr wisst schon: Für die stillen Momente, die es natürlich noch nie gegeben hat und auf absehbarer Zeit auch nicht geben wird.
Die Grossen sind müde, quengeln nach einem Eis und verlangen, dass man mit dem völlig überhitzten Auto SOFORT losfährt, damit der Fahrtwind sie wenigstens ein bisschen kühlt. Die beiden Elternpackesel stopfen alles irgendwie in den Kofferraum, ziehen dann das Baby aus dem Gewühl und zermartern sich endlose Sekunden lang das Hirn, wie sie es in den viel zu warmen Kindersitz schnallen sollen. Es ist aber sowieso schon unleidlich. Die sechs Kilogramm Sand und Getier, die es sich vorhin am Strand noch mit Hingabe in den Mund geschaufelt hat, sind ganz plötzlich nur noch ekliger Dreck, für den Mama und Papa verantwortlich gemacht werden. Wer auch sonst?!
10 Minuten später schlafen die Kinder. Die Beine kleben am Autositz, das Lenkrad ist so heiss, dass man es eigentlich nicht anfassen kann, und das Trinken liegt natürlich im Kofferraum. Die Sonne steht tief und man blinzelt auf die Strasse. Draussen riecht es nach salzigen Orangen und windfeuchtem Holz. Die schöne Frau auf dem Beifahrersitz, der das schräge Licht so unglaublich gut steht, nickt anerkennend zum Zeichen, dass man den Ausflug genau so in den Sand gesetzt hat, wie es sein sollte. Mit anderen Worten: Ein perfekter Sommertag. Ach, es wird grossartig.
Und wenn das Wetter wirklich nicht so gut werden sollte, kann man sich ja immerhin damit trösten, dass einem dieser ganze Stress erspart bleibt.
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.