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Bloss kein behindertes Kind!?
Meine grosse Tochter war gerade erst geboren, kaum ein paar Sekunden alt. Ich und die Frau, die diese Tat soeben vollbracht hatte, konnten wieder halbwegs geradeaus denken und wollten endlich unser Baby sehen. Haben. Halten. Aber das Geburtsteam hatte uns den Rücken zugewandt und machte irgendwelche Untersuchungen mit Emma. Murmelten sich gedämpft irgendwelche Medizinersachen zu. Von Emma kein Mucks. Eine kleine Ewigkeit. Und kurz bevor sie uns mit einem entspannten, aber bestimmten Laut aus der allmählich einsetzenden Schockstarre riss, stand der Gedanke so klar wie nie zuvor in meinem Kopf. Der Gedanke, an den ich mich schon gewöhnt hatte und der einfach nie ganz abzuschütteln war. Der «Fuck, irgendetwas ist nicht in Ordnung!»-Gedanke. Der war mir nur zu bekannt. Unter anderem von der Feindiagnostik Monate zuvor in einer der besseren Gegenden Berlins. Eine sehr verzweifelt wirkende Schwangere sass mit uns im Wartezimmer. Und während wir in ein anderes Stockwerk geführt wurden, wo ein aufgeräumter Arzt für uns Babykino in Farbe veranstaltete, stellte ich mir vor, wie sich die Untersuchung wohl für diese Frau anfühlen muss.
«Und da das Herz…und da ist der Oberschenkelknochen… und da ist die ziemlich volle Blase.»
Ich wollte die Details gar nicht mehr wissen. Ich wollte ihn einfach nur noch sagen hören, dass alles sehr gut und der Norm entsprechend aussieht. Genau das sagte er dann auch. Ebenso wie das Geburtsteam im Krankenhaus, nachdem sie fertig mit ihren Untersuchungen waren. Aber sie hätten auch etwas ganz anderes sagen können. Und was dann?!
Eine, die diese und andere Fragen beantworten kann, ist die Journalistin und Bloggerin Mareice Kaiser, die mit den zwei kleinen Kaiserinnen und dem dazugehörigen Papa in Berlin lebt und über ihren Familienalltag schreibt, der unter anderem auch davon geprägt ist, dass Kaiserin 1 einen seltenen Chromosomenfehler hat.
Und was dann?
Hat man deswegen Schuldgefühle?
Wohin mit der Wut?
Was ist mit einem zweiten Kind?
Wieso ist ein Kind mit Behinderung ein Gespenst?
Fragen, die ich und andere sich kaum zu denken trauen, weil sie Angst haben, ihnen damit zu viel Realität zu verleihen. Doch genau auf diese Angst und den Umgang mit ihr kommt es an. Denn Inklusion besteht eben nicht nur daraus, dass wir als Gesellschaft unserer Verpflichtung in puncto Teilhabe und Verantwortung gerecht werden und uns dazu bekennen, integrativ statt ausgrenzend zu handeln. Inklusion muss sich auch mit dieser Angst auseinandersetzen. Mit der Befürchtung «dem allem» nicht gewachsen zu sein. Mit dem Umstand, dass wir unser Miteinander durch so viele normierende Angleichungsprozesse gestalten, dass uns die schiere Existenz einer Abweichung der Norm verstört und wir sie aus unseren Leben drängen wollen.
Es gibt tatsächlich Tage, da habe ich Angst, das Blog von Mareice Kaiser zu lesen. Und dann mache ich es trotzdem – genau deswegen.
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.