Gesellschaft
Männerkörper: Fässchen statt Sixpack
Von Caren Battaglia
Muskeln und Waschbrettbauch? Kann man(n) vergessen. Die Figur der Stunde heisst «Dadbod», Papakörper. Wie kommts?
Cristiano Ronaldo ist das Pendant zum Gartenzwerg: sowas von gestrig. Zumindest was seine Figur anbelangt. Denn der fettreduzierte Mann scheint dem Untergang entgegenzublicken. Heisst doch – glaubt man Netz und Medien – das angesagte männliche Schönheitsideal: «Dadbod». Papakörper. Waschbrett ist out, Waschbär ist in. Wo hart, da weich. Gefragt ist eine knuddelige Silhouette, die nach Pasta am Familientisch aussieht, nach Softeis mit den Kids und ein bisschen Federball im Garten mit anschliessendem Bierchen, statt nach Muckibude und Schweiss, Sprossen und Eiweiss-Shake. Nur – woher kommt der begrüssenswerte Boom des relaxten Mannes? Woher der
Aufschwung des gängigen Papa-Images vom erotisch undefinierbaren Kindervelo-Flicker, Sponge-Bob-Imitator und Mann am Grill, hin zum Sexsymbol und Objekt der Begierde? Was ist da los? Eine Menge.
Was denken eigentlich Väter über den «Dadbod»?
Wir haben drei Väter an einen Tisch gebeten: ^Martin (41), feste Partnerschaft, 1 Kind (3), Leiter einer kleinen Firma, Zürich; ^Sven (49) verheiratet, 3 Kinder (19, 15, 13), Lehrer, Malix; ^Lukas (34), Single, Gärtner , 2 Kinder (13, 9), Chur
^Namen von der Redaktion geändert.
500 000 Mal wurde der Pummel-Post der amerikanischen Studentin Mackenzie Pearson geteilt, in dem sie in einem Online-Magazin mitteilt, dass sie die stählernen Körper ihrer Kommilitonen satt habe und stattdessen lieber Jungs mit einer väterlichen Figur möchte, die auch mal Pizza essen und feiern, statt dauernd ihren Körper zu tunen. Tausendfach wurde der Artikel verlinkt und die 19-Jährige in «Good Morning America» interviewt. Offenbar traf sie einen Nerv. Denn auch Leonardo die Caprio posierte plötzlich in Badehose, ohne die Plauze einzuziehen. Russel Crowe, einst muskelbepackter Gladiator, verweigerte für «Nice Guys» starrköpfig die von den Produzenten gewünschte Diät. Ben Affleck trägt unterm T-Shirt vorne, was seine Ex-Frau JLo hinten trägt. Und Zach Miko avancierte zum Star der Stunde: Male Model, Plus Size. 1,98 Meter gross, Bauchumfang 107 Zentimeter. Dick? Vielleicht. Dick im Geschäft? Ganz sicher.
Nur – seit wann taugt männliches Aussehen zum Aufreger, ist Schönheit bei Männern fast so ein grosses Thema wie bei Frauen, seit wann darf Papa sexy sein?
Peter Rieker wundert die Diskussion nicht. Der Soziologe und Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Zürich beschäftigt sich schon lange mit dem Zusammenhang von Körperbildern und Zeitgeist. «Der Spruch ‹mens sana, in corpore sano› ein gesunder Geist steckt in einem gesunden Körper, ist weit über 1000 Jahre alt.» Mindestens genauso alt sei also auch der vermutete Zusammenhang von richtigem Denken und richtigem Aussehen. «Heute verbreiten sich die jeweils modernen Masse nur schneller.»
Doch von jeher entfalteten die Moden Wirkung – bei Frauen und Männern. So erklärt die amerikanische Kunsthistorikerin Ellen Oredsson in ihrem Kunstgeschichte-Blog – unter anderem – warum griechische und römische Männerstatuen durch die Bank winzige Penisse haben. Ihre Begründung: Im klassischen Griechenland galt Ratio, Kultiviertheit und Intellektualität als erstrebenswert. Das grosse Glied dagegen schien Trieb, Lüsternheit und vulgäres Verhalten zu symbolisieren: Michelangelos David verkörpert also mit seiner untenrum, nun ja, defensiven Anatomie perfekt das antike Schönheitsideal. Gälte es noch heute, wären Scharen einschlägiger Spam-Versender arbeitslos.
Was also macht den Mann zum Mann? «Genau in der Frage liegt begründet, warum in den vergangenen 10 Jahren eine muskelbetonte männliche Körperform entstanden ist, die es vorher nur bei Bodybuildern gab», sagt Peter Rieker. «Die jungen Männer von heute sind in ihrer Männerrolle verunsichert», erklärt der Soziologe den Typ «Spornosexueller». «Spornosexuell» – nein, nicht metrosexuell, das war David Beckham – bezeichnet das Aussehen durchgetunter Kerle mit Sixpack und oberschenkeldicken Bizepsen. Eine Art Promenadenmischung aus Sportler, Pornodarsteller und Working-Class-Hero. Die zahllosen widersprüchlichen Erwartungen an Männer: Verdiene viel Geld, sei einfühlsamer Partner, engagierter Papa, ganzer Kerl im Bett, zudem mutig, stark und sensibel, führten, so Rieker, zum Wunsch, wenigstens irgendeinen Aspekt der Männlichkeit perfekt zu kontrollieren: den eigenen Körper.
War Magersucht bis vor wenigen Jahren die Krankheit pubertierender Mädchen, wird heute geschätzt, dass jeder vierte bis fünfte Betroffene männlich ist. 1993 gaben bei einer Untersuchung der Gesundheitsförderung Schweiz 20 Prozent der Knaben an, unzufrieden mit ihrem Körper zu sein, sich zu mager oder zu dick zu fühlen. Heute sind es 44 Prozent. Manche davon hungern sich dünn. Andere, wie der Kult-Autor Benjamin von Stuckrad-Barre, leiden unter bulimischen Anfällen. Und wieder andere entwickeln eine Sucht nach immer dickeren Muskeln, Adoniskomplex genannt. Längst ist «Schönling» für Männer kein Schimpfwort mehr. Lag 1990 der Anteil der Männer bei Schönheitsoperationen noch bei unter 5 Prozent, beträgt er heute 16. Von 2012 bis 2014 stieg der Umsatz bei Männerkosmetik um 70 Prozent, über die Umsatzentwicklung bei Push-up-Unterund Badehosen mit «frontal enhancement» für Männer fehlen noch die Zahlen.
Dabei bringt das ganze Oberflächen-Tuning nicht nur Vorteile: So bevorzugen laut Marktforschungsinstitut Marktagent 37 Prozent der Schweizerinnen Männer mit Bauch. An zweiter Stelle kommt der Flachbäuchige und erst an dritter Stelle der Sixpack- Mann. In der Zeitschrift «Brigitte» beklagt sich eine Frau bitterlich: Sie habe sich aus physischen Gründen von ihrem Partner trennen müssen. Seine Hüftknochen hätten sie immer so in die Seite gepiekt. Zudem haben Ökonomen der Universität Potsdam herausgefunden, dass leicht übergewichtige Männer besser verdienen. Untergewichtige bekämen ein um acht Prozent magereres Gehalt. Sogar Gladiatoren sollen nicht so ausgesehen haben wie einst Russel Crowe, sondern eher wie ein etwas grösserer Danny DeVito. Zu verdanken ist die Erkenntnis vom feisten Fighter Wiener Medizinforschern. Sie fanden in alten Gladiatorenknochen nämlich Spurenelemente der aufgenommenen Nahrung. Und die belegen: nix Eiweiss und Salat. Sondern Fett, Fett, Fett und Kohlehydrate. Schwarte schützte.
Nur warum ignorieren manche Männer konsequent jede Mode samt gemütlichem Trend zu Bettbauch statt Brettbauch? Und was bedeutet es, dass Vati plötzlich supersexy sein soll? Hat das mit Scheidungsraten und dadurch bedingter lebenslänglicher Partnersuche zu tun?
Peter Rieker bleibt skeptisch: «Dadbods hin oder her. Vater und Sexualität, das ist eine heikle Kombination, über die nicht gerne gesprochen wird. Auch nicht in Zeiten, in denen sich jedes zweite Paar trennt und neu verbandelt.» Das habe mit dem Inzesttabu zu tun, mit allgegenwärtiger Missbrauchsangst und damit, dass Kinder den Gedanken, ihre Eltern hätten Sex, immer total eklig fänden. «Aber wenn es tatsächlich Trend ist, dass Männer auf blöde Vorgaben pfeifen und sich egal mit welchem Bauch attraktiv finden, dann wäre das doch diesmal eine wirklich schöne Mode». Wir warten auf den Mumbod.
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